Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
hier hat er sich gegen diesen Baum gelehnt«, sagte er, »und da oben ist er gestürzt und eine Weile liegengeblieben. Komm!«
Von der Hügelkuppe aus konnten sie ihn weit unten an einem Baum sitzen sehen, und Winnt ging schon den Hügel hinunter, ehe Ursa etwas sagen konnte. Sie waren nicht weit gekommen, als der Shumai sie sah und aufstand, den Speer wurfbereit.
Winnt blieb ungefähr zwanzig Armlängen entfernt von ihm stehen. Ursa erreichte ihn. »Warte!« sagte sie. »Es ist ein Shumai-Wilder. Laß uns von hier verschwinden, ehe es zu weit geht.«
Bei diesen Worten lachte der Shumai. Er verstand nicht ganz, was sie sagte, konnte aber den Ton nicht mißdeuten. »Komm!« sagte er. »Spießt euch selbst auf einen Shumai-Speer!« Er war hager bis zur Auszeh-rung. Unter seiner Mähne hellblonden Haares glit-zerten seine blauen Augen hart. »Zwei Wildzwiebeln zum Abendessen«, sagte er, dann fiel er in den Schnee. Winnt brauchte ein paar Augenblicke, um ihn zu erreichen und auf seinen Speer zu treten. Das Schwert hatte er herausgerissen, und er drehte den jungen Krieger auf den Rücken, um ihm den Todes-stoß zu versetzen, aber Ursa griff ein und schob ihn beiseite.
»Du kannst ihn nicht töten! Er ist schwach wie ein Baby. Ist das der Mut der Sentani?«
»Sie haben es mit uns nicht anders gemacht, haben sogar die Verwundeten getötet, was wir nie tun. Geh mir aus dem Weg!« Er wollte sie beiseiteschieben, sie rangen einen Augenblick miteinander, und sein volles Gewicht verlagerte sich dabei auf sein verletztes Bein, das ein wenig nachgab. In diesem Augenblick stieß der Shumai mit seinem dabei freigewordenen Speer schwach zu, aber er konnte nur Ursas Mantel durchdringen und ihr die Hüfte verletzen. Sie schrie und fiel auf ihn, und er war zu schwach, um sie weg-zudrücken. Winnt stand wütend, vor Schmerz keuchend da.
»Geh jetzt weg, Weib!« schrie er.
»Nein«, kreischte sie zurück. »Hör auf! Hör auf!
Hör auf! Hör auf! Hört alle beide auf!«
Winnt hörte auf. »Nun, wenn du ihn so sehr liebst, dann hör wenigstens auf, ihn vollzubluten.«
Sie blickte hinunter und sah, daß tatsächlich Blut aus ihrer Seite auf Gesicht und Bart des jungen Kriegers tropfte. »Ahhh«, sagte sie, nahm Schnee und rieb es weg.
Der Shumai blickte zu ihr auf und lachte schwach.
»Nimm wenigstens«, keuchte er, »etwas anderes als Schnee.«
Sie erkannte das Wort ›Schnee‹, wischte ihn mit dem Handballen ihres Fäustlings weg und lehnte sich dann zurück, als sich die Schmerzen in ihrer Seite stärker bemerkbar machten. »Ahhh«, murmelte sie.
»Sieh nach, Winnt! Wie schwer bin ich verletzt?«
Winnt trat schnell mit seinem Wildseil auf den Shumai zu, riß ihm die Hände hinter den Rücken und fesselte sie, dann sah er sich Ursa an. »Los!« sagte er.
»Schieb alle Kleidungsstücke beiseite!«
Er schaute sich die Wunde lange an, dann wandte er sich dem Shumai zu. »Du Stück Dreck!« fauchte er.
»Nein, Winnt, tu ihm nichts!« sagte Ursa, die keuchend im Schnee lag.
»Kotfresser von einem Sentani«, murmelte der Shumai.
Winnt stand auf. »Das ist alles Wahnsinn«, schrie er. »Wahnsinn! Man kann nicht gnädig mit ihnen verfahren. Sie töten zum Zeitvertreib. Er würde uns selbst jetzt noch töten, auch wenn es seinen eigenen Tod bedeuten würde.«
»Komm her und laß dich töten!« keuchte die heisere Stimme des Shumai.
»Aber von euch hat man das auch gesagt, Winnt«, sagte Ursa und stützte sich auf ihren Arm. »Du hast nicht gesagt, was mit mir ist.«
»Oh. Es sieht häßlich aus, aber es war hauptsächlich der Mantel. Ich fürchte, du wirst am Leben bleiben. Leg dich hin, dann werde ich dich so gut wie möglich verbinden.« Und er kniete sich neben den keuchenden Shumai und verband vorsichtig ihre Seite, dabei zitterten ihm die Hände weil er dieser Pelbar-Frau so nahe war.
»Hättest du vielleicht zufällig etwas zu essen, du Abschaum des Flusses?« fragte der Shumai. »Ich bin genauso gern satt wie hungrig, wenn's ans Sterben geht.«
»Du wirst nicht sterben«, sagte Ursa unter ihrem Mantel hervor, weil sie den Sinn seiner Worte verstanden hatte.
»Sei dir da nicht so sicher«, sagte Winnt. Endlich war er fertig und stellte sich auf seine Schneegleiter.
Ursa richtete sich steif auf, sah den Shumai im Schnee liegen, hob ihn auf und lehnte ihn wieder gegen den Baum, dabei wischte sie ihm den Schnee von Kopf und Hals.
»Sie ist ziemlich schwer zu beleidigen«, bemerkte Winnt langsam, damit ihn der
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