Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
früh auf, aber alle Bewohner von Oldtree waren anwesend bis auf die, die an ihre Matten gefesselt waren, es wurde viel gelächelt. Jestak bekam sogar eine duftende Umarmung von Lest und mußte sich in alle dunklen Erdhütten ducken, um sich von den Invaliden im Inneren zu verabschieden, wie es alle Männer taten. Ei-ne alte Frau, die auf einer schmutzigen Matte lag, hielt seine Hand ein wenig länger fest und murmelte: »Tia ist meine Urenkelin.«
Jestak sah in ihr schweres, knochiges Gesicht und schauderte innerlich bei der Vorstellung, daß Tia selbst einmal an einen solchen Ort und in eine solche Verfassung kommen könnte. »Wir werden sie herbringen, damit sie dich besuchen kann«, sagte er.
»Wartet nicht so lange. Vielleicht bin ich bis dahin schon da drüben«, sagte sie und deutete zum Friedhof auf der anderen Seite des Flusses hinüber.
»Bleib am Leben, um sie zu sehen.«
»Sie ist schön, nicht wahr?«
»Ja. Sie ist die schönste Frau, die mir auf all meinen Reisen begegnet ist.«
Die alte Frau lächelte und zeigte dabei ihre lücken-haften schwarzen Zähne. »Mein Name ist Riadin. Leb wohl! Sertine wird euch helfen.«
»Ja, leb wohl! Bleib gesund!«
Sie schloß die Augen.
Sie liefen wieder eine Woche, das Land wurde ständig trockener und das Gestrüpp spärlicher. Eines Nachmittags sagte Jestak: »Kod, was sind das für Wolken?«
»Das sind keine Wolken. Es sind Berge. Das ist der Schnee.«
»Dann sind wir also bald da?«
»Wir sind näher gekommen. Jetzt befinden wir uns im Land der Reiter. Sie streifen in den Ebenen bis zu den Vorbergen umher. Die Emeri wohnen weiter hinten, auf höherem Gelände. Aber wir müssen auch jetzt schon auf sie achten. Manchmal kommen sie auf ihren Pferden in die Ebenen herab.«
Es war später Nachmittag, als die Gruppe die Rauchschwaden einer Reihe von Lagerfeuern vor sich sah, und am Abend hielt Thro an und stieß, etwa ein Ayas vom Lagerplatz entfernt, in sein Horn. Nach kurzer Zeit bekam er Antwort, und als sie auf das Lager zugingen, hörte Jestak das Dröhnen schwerer Hu-fe und sah überrascht und aufgeregt, wie fünfzehn Männer mit langen Bärten, die im Wind flatterten, ihnen auf Pferden entgegenritten. Die Reiter brachten die Pferde quer über dem Weg nebeneinander zum Stehen.
»Thro von den Highbluff-Shumai mit einem Trupp, um unsere Leute aus der Gewalt der Emeri zu befreien«, sagte der Anführer.
»Bist du das, Thro? Willkommen. Seid alle willkommen! Und wer ist der da?«
»Das ist Jestak der Pelbar, von Nordwall am Heart, Ottan. Er ist mit uns gekommen, um ein paar Pferde zu kaufen und um mit uns gegen die Emeri zu kämpfen und Tia von der Rush Creek-Bande herauszuho-len, die er kennengelernt hat.«
»Tia?« fragte Ottan. Dann lachte er. »Die klappert ihm mit ihrer Zunge seinen Schnurrbart herunter. Ein Pelbar, hm. Ich habe schon von ihnen gehört. Ich dachte, ihr lebt hinter Mauern?«
»Das tun wir auch, bis auf mich«, sagte Jestak.
»Dann kommt und eßt! Wir haben eine weißköpfige Kuh über dem Feuer – das ganze Vieh –, denn wir sind ungefähr hundert Mann. Kommt!«
Die Reiter wendeten und trabten voran, gelegentlich blickten sie zurück, besonders zu Jestak, der etwas Neues war. Es war ein typisches Shumai-Lager; alle hatten sich in willkürlicher Anordnung nieder-gelassen, meist im Freien; es gab große, niedrige Fell-zelte und Kochfeuer unter freiem Himmel. Der Geruch nach trockenem Dörrfleisch, verwesenden Ein-geweiden, trocknenden Häuten, Holzrauch und Fleisch am Spieß war überwältigend, trotz einer leichten Brise, aber die Leute im Lager schienen ihn nicht wahrzunehmen.
Der Trupp fand sich von Hunden umringt, besonders Jestak, der merklich anders war als die anderen.
Es waren große Hunde mit weißen, schwarzen und braunen Flecken, und sie bellten Jestak aus zwei oder drei Fuß Entfernung ständig an. Aber Jestak beugte sich zu ihnen hinunter und ließ sie an seinen Händen riechen, und bald akzeptierten sie ihn und wedelten mit hochgerecktem Schwanz wie mit einem Kreis von Wimpeln. Er streichelte jeden Hund sorgfältig, strich ihnen über das Fell, zog ihnen Kletten aus den Ohren und sprach dauernd leise auf sie ein. Als er dann in den Kreis trat, wo alle Shumai miteinander sprachen und sich begrüßten, war er von Hunden und Kindern umringt.
Ottan lachte wieder. »Komm, Jestak der Pelbar. Du bist hier willkommen und mußt uns von dir und vom Osten erzählen, sobald wir gegessen haben.«
»Danke«, antwortete
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