Pelbar 2 Die Enden des Kreises
und deutlich. Ja, da hörte er es wieder. Er setzte sich in Trab, lief nach Nordwesten, einen Hügel hinauf auf das Geräusch zu. Er glaubte es zu verlieren. Wieder blieb er stehen und fingerte die Tonfolge herunter. Ganz nahe erklang die zittrige Wiederho-lung. Stel hörte ein Kratzen, einen langen Augenblick sah er das grinsende Gesicht eines dunkelhäutigen Knaben, dessen Kopf kahlgeschoren war bis auf eine Haarsträhne ganz oben auf seinem Schädel, die geflochten war. Der Gesichtsausdruck des Jungen wurde feierlich; dann wechselte, wie beim Sturz eines Baumes, seine ganze Miene zu Überraschung, und er verschwand kreischend hinter der anderen Seite des Felsens und floh den Hügel hinauf. Stel sah ihm nach, dann folgte er ihm langsam. Nach einem halben Ayas traf er auf einen offenbar viel benützten Pfad, kam zwischen zwei großen Felsen durch, wobei er sich beobachtet fühlte, und hörte in der Ferne schwach viele Stimmen singen. Allmählich wurde der Gesang verständlich. »Diu heer es nu may nezumi iro. Diu heer es nu may nezumi iro. Diu heer es nu may nezumi iro.« Der Gesang wurde lauter, und Stel, der ängstlich und nervös weiterging, aber doch begierig auf Menschen, sah eine Reihe von jungen Männern, alle kahlgeschoren, nackt bis zur Taille, dunkelhäutig und ölglänzend im Gänsemarsch den Pfad entlang auf sich zumarschieren, mit ihrem Gesang bestimmten sie den Takt ihrer Schritte. Sie kamen auf ihn zu, scheinbar fast ohne ihn zu bemerken, obwohl sie ihn eindeutig sahen.
Endlich setzte sich der vorderste Mann einen hohen Kopfschmuck aus Holz und gefärbten Federn auf, hob die Arme und blieb stehen, die Reihe teilte sich, die Leute gingen an beiden Seiten dicht an Stel vorbei und um ihn herum, er blieb verwirrt stehen, da drehten sie sich um und blieben ebenfalls stehen, aber der Gesang ging weiter, leise und hartnäckig, immer noch im Takt: »Diu heer es nu may nezumi iro.« Der Mann mit dem Kopfputz ließ die Arme sinken, und die Männer, die Stel am nächsten waren, schoben ihn, immer noch singend, sanft an den Ell-bogen vorwärts. Die ganze Prozession bewegte sich gemeinsam den Pfad hinunter und erreichte schließ-
lich den Spalt eines kleinen Tales.
Viele Menschen säumten den Pfad, vielleicht achtzig oder neunzig, dachte Stel, die Männer waren alle kahlgeschoren, die Frauen hatten sehr langes Haar.
Alle waren dunkel, und alle schauten Stel fasziniert an. Als die Prozession näher kam, stimmten alle in den Gesang ein. Stel und sein Zug wurden zu einem Mittelplatz von vielleicht sechzig Armlängen Umfang aus flachen, im Kreis ausgelegten Steinen gedrängt.
An einer Seite des Platzes stand ein erhöhtes Podest und darauf ein Stuhl, auf dem ein sehr alter Mann saß, gebückt, der sich aber eifrig Stel und seinen Be-gleitern entgegenneigte, als sie näher kamen.
Die zwei Reihen von Männern führten Stel vor den Alten, dann ließen sie ihn unvermittelt stehen, rückten ab und postierten sich zu beiden Seiten von ihm.
Der Mann mit dem Kopfputz hüpfte weiter hinten herum. So aus der Nähe konnte Stel den Alten gut sehen, der ihn aus dunklen, aber trüben Augen an-blinzelte, mit verschobenem Kopf, die Falten in seinem Hals legten die Haut in dicke Wülste, die sich unter der Kehle wie eine Lederhalskette trafen. Bis auf ein Tuch um die Hüften war der Mann nackt, und er trug keinerlei Schmuck. Da sein Mund offenhing, konnte Stel sehen, daß er nur einen Zahn vorne unten hatte, der wie eine kleine Schneewehe am Eingang einer Höhle aufragte.
Endlich erhob sich der alte Mann überraschend flink, kam zu Stel herunter und blinzelte ihn an. Stel lächelte. Als er dann aber einen Schwall vom feuchten Atem des alten Mannes erwischte, der wie faulender Fisch roch, legte er sein Gesicht in eine Maske unver-bindlicher Höflichkeit. Der Alte ging ganz um ihn herum, wobei er noch aufgeregter wurde, schob schließlich sein Gesicht nahe an das von Stel und blickte ihm scharf in die Augen. Dann nahm er eine von Stels Händen, die vom Winter und seinen Wanderungen hart und schmutzig waren. Der Alte blinzelte die Hand an, dann schleuderte er sie mit einem Murmeln des Abscheus von sich.
Nun kehrte er auf seinen Stuhl zurück und saß sehr lange still, inzwischen wurde sich Stel der Stille und des Vogelgekreischs im Hintergrund bewußt.
Schließlich stand der alte Mann unvermittelt wieder auf und sagte: »Ik dik sa. Diu heer es nu may nezumi iro. Ik da sa.«
Ein allgemeines Gebrüll der Zustimmung brandete auf.
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