Pelbar 2 Die Enden des Kreises
Stel wurde in einem Ansturm neben und hinter dem alten Mann vorbei eine lange, holprige Stein-treppe hinaufgedrängt, auf eine zweite, gepflasterte Fläche zu. In deren Mitte lag ein großer, quadratischer Stein, in den ein Trog gehauen war, aber ein flacher, von der Länge eines Menschen. Nahe an einem Ende steckte ein Speer mit kurzem Griff in einer Halterung, die in den Stein eingeschnitten war. Er stand aufrecht, an seiner Spitze saß ein großer Kopf aus glänzendem, schwarzem Stein, der sauber in Form eines großen, schmalen Blattes zugehauen war.
Hinter dem Pflaster erhoben sich zwei Steinhäuser wie auf den Kopf gestellte Schüsseln, jedes kreisrund, von vielleicht fünfzehn Armlängen im Durchmesser.
Sie waren mit Binsen gedeckt. Als Stel einen Blick auf sie warf, stellte er erschrocken fest, daß sie am Rand eines Felsvorsprungs standen, der dahinter vielleicht dreißig Armlängen weit in eine trockene Schlucht abfiel. Nach Westen zu konnte er in der Ferne im Dunst Bäume und aufragende Berge sehen.
Aber zum Schauen hatte er keine Zeit. Die singen-de, schwatzende Menge drängte ihn an die rechte Seite des quadratischen Steins, und dann kam eine große, junge Frau aus dem schüsselförmigen Haus auf dieser Seite. Sie war schlank, dunkelhaarig und von hellerer Hautfarbe als die anderen. Sie trug ein langes, braunes Gewand und eine schwere, goldene Halskette und ging in seltsamen Holzsandalen.
Plötzlich verstummte die Menge, und Stel konnte das Holz klappern hören, als sie langsam auf ihn zukam.
Er spürte, wie ihm ein Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.
Sie kam ganz nahe an ihn heran und sah ihn mit Augen an, die so blau waren wie Zichorienblüten.
Wie der Alte ging sie langsam um ihn herum, einen immer stärker werdenden Ausdruck der Verachtung auf dem Gesicht. Stel sagte nichts. Er fühlte sich wie ein Gegenstand, der bei der Handelswoche der Pelbar gekauft werden sollte. Als sie wieder vor ihm stand, nahm sie sein Gesicht in ihre Hände, öffnete seinen Mund und schaute hinein, um seine Zähne zu begut-achten, dann ließ sie ihn los, machte zwei schwung-volle Schritte nach rückwärts, blickte die Menge an und winkte mit der Hand. Sie rief aus: »Das corb furui? Das corb furui? Ah. Welve mo an das corb furui?«
Die Menge zog sich zurück, dann begann sie unbe-irrt wieder mit dem Gesang: »Diu heer es nu may nezumi iro«, aber plötzlich stieß die Frau einen Schrei aus, schleuderte die Arme in die Luft, drehte sich herum und sah sie alle an. Die Menge verstummte.
»Wenn es dir nichts ausmacht«, sagte Stel ruhig, »wüßte ich wirklich gerne, was das alles soll. Ich glaube, ich bin während der Winterfestspiele auf eine Bühne gestolpert. Ich bin nur zu gerne bereit, mich umzudrehen und ...«
Die Frau wirbelte hastig zu ihm herum, hob die Arme und stieß wieder einen Schrei aus. Stel begriff, daß er still sein sollte. Dann packte sie überraschend eine Schnur, die um den Halsausschnitt ihres Kleides ging, und zog mit einer dramatischen Geste daran.
Das Gewand fiel ihr zu Füßen, und sie war völlig nackt. Ehe sie aus den Sandalen trat, murmelte die Menge im Chor und kniete nieder, die Köpfe zum Pflaster geneigt. Stel tat das nicht. Er schaute zum Himmel, dann zum fernen Horizont, dann auf seine Füße und schließlich auf die ihren vor den seinen.
Schließlich blickte er auf. Sie stand stolz und unange-nehm nahe vor ihm und blickte ihn zornig an. Stel hatte nicht einmal Ahroe jemals so gesehen, bestimmt nicht im hellen Sonnenschein. Er war zutiefst verlegen. Aber die Frau war wunderschön, so bizarr und anders sie auch sein mochte. Ihre Schönheit strahlte von ihr aus wie ein Duft. Seine Phantasie erkannte je-de Einzelheit ihres Körpers als vollkommen. Stel fühlte sich leicht schwindlig. Sie drehte sich um und ging langsam von ihm weg auf das Steinhaus zu, oh-ne auch nur einmal zurückzuschauen. Stel ertappte sich, daß er die Grübchen, eines auf jeder Seite, oben an ihren Hinterbacken betrachtete. Er hatte noch nie etwas dergleichen gesehen, und irgendwie schienen sie zu ihrer komischen Würde nicht zu passen. Er lachte laut. Sie fuhr an der Tür ihres Hauses herum, das Gesicht wutverzerrt, sie wirkte nicht mehr wie eine Göttin der körperlichen Schönheit, sondern einfach wie eine Frau, der ihre Kleider abhanden gekommen sind.
Stel lachte noch mehr, aber die Menge erhob sich offensichtlich zornig, und die Frau verschwand in ihrem Haus. »Nun, was jetzt?« fragte Stel.
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