Pelbar 2 Die Enden des Kreises
sich ein bißchen vor einer weiteren Begegnung mit Menschen. Seine letzten waren so schlecht ausgefallen, daß sein Selbstvertrauen schwankte wie die letzten, noch nicht abgefallenen Espenblätter. Als er in dieser Nacht in seinem Schlafsack lag und zuschaute, wie die Sterne langsam von Zweig zu Zweig über ihm hinzogen, dachte er dar-
über nach, wie seltsam all seine Erlebnisse gewesen waren, er dachte an die unermeßliche Leere dieses weiten Landes, an sein intensives Alleinsein, an die Gleichgültigkeit des Landes und seine Kälte, sogar an die Ferne der Sterne. Welches Muster hatte Aven in Ihrem großen Denken? Ahroe, wo war sie? Wohnte sie immer noch in ihrem kleinen Zimmer in Pelbarigan? Überwachte sie das Weben von Wintermatten aus Flußbinsen? Bei all den Anhaltspunkten für ein Muster, eine Ordnung, ein System der Gattungen, für menschliche Errungenschaften mußte es doch für jemanden wie ihn sicher eine Nische im System geben.
Er ertappte sich dabei, wie er überlegte, ob er vielleicht nur existierte, um Verbannung und Qual zu re-präsentieren.
Er hatte keinerlei Zweifel daran, daß vor ihm Pelbar waren – oder vor kurzem gewesen waren. Wie würden sie ihn aufnehmen? Was sollte er ihnen er-zählen? Konnte er ihre Verteidigungsanlagen richtig erkennen? Er hatte nie gehört, daß es im Westen Pelbar gab, aber vielleicht waren sie verlorengegangen, waren in einer düsteren Periode der Vergangenheit abgetrennt worden und so weit gezogen. Er hatte es auch getan. Vielleicht sollte das seine Aufgabe sein – die Pelbarkolonien wieder zu vereinen.
Es wurde hell, lange, ehe sich die Sonne über den Rand der hohen Berge im Osten schob, und Stel hatte sich den Weg fast über die ganzen, letzten acht Ayas gesucht, ehe ihre Strahlen zu den fast kahlen Espen zwischen den Kiefern herunterreichten und die hell-braunen Stämme mit ihrem Schein übergossen. Stel war in seltsamer Erregung.
Als er um eine Kurve in der Bergschulter bog, sah er vor sich eine dünne Rauchsäule, die senkrecht aufstieg und sich dann unbestimmt und stetig, wie ein Stück Tüll über das Tal ausbreitete. Als Stel ihr mit dem Blick nach unten folgte, sah er mit einem flauen Gefühl der Enttäuschung das vertraute Gebäude der Pelbar, ein Felsviereck, das an den Berg gestellt war.
Es war klein. Eine Stadt gab es hier also nicht. Wenn das kein Außenposten war, wohnten hier nur einige wenige – vielleicht sogar nur eine einzige Person.
Aber ein Pelbarhaus war es.
Stel trat ins freie Gelände und studierte die Lage.
Ja, da mußte die Fallgrube sein und hinter der nächsten Kurve die Rollfallen. Möglicherweise gab es auch eine Grabenfalle, aber die müßte näher am Gebäude sein. Vor dem Bauwerk, einen Kurzbogenschuß entfernt, befand sich der vertraute Mitteilungsstein, klein, aber unübersehbar. Stel würde sich über den Kreis der Verteidigungsanlagen dorthin vorarbeiten, sich bemerkbar machen und auf eine Antwort aus dem Gebäude warten.
Als Stel auf den Mitteilungsstein stieg, zog er seine Flöte heraus, und als er sich in der richtigen Position befand, spielte er langsam und laut eine Hymne an Aven, ein Lob für die Schönheit des Herbstes, für das reinigende Weiß des Winters, die Wiedergeburt des Frühlings. In dem quadratischen Steingebäude regte sich nichts. Er spielte die Hymne noch einmal ganz, dann bemerkte er ein Gesicht an einem der beiden hohen Fenster, das nur undeutlich zu erkennen war.
Es schien alt und hager zu sein.
Endlich öffnete sich die Tür, eine Drehtür, die großartig in der vorderen Fassade des Gebäudes, verborgen war. Ein kleiner, alter Mann trat heraus, in eine feierliche Pelbartunika gekleidet, die aber aus nicht sehr geschickt zusammengenähten kleinen Fellen gemacht war. Er blieb vor dem Eingang stehen und lehnte sich auf einen Stab.
»Stel Dahmen aus Pelbarigan entbietet dir seinen Gruß«, sagte Stel.
»Dahmen?« wiederholte der alte Mann mit hoher, zittriger Stimme.
»Dahmen durch Heirat, Sohn von Sagan, einer Steinmetzin, geborener Arden, Schreiner und Handwerker aus Pelbarigan, aus freiem Willen in der Verbannung und jetzt hier.«
»Verbannung?« Der alte Mann stieß ein seltsames Lachen aus, dann kam er langsam näher und stieg auf den Stein.
Sie legten sich gegenseitig die Hand auf die Schulter, und sie wiederholten gemeinsam: »Möge Aven dich schützen, führen, geleiten und lenken. Möge sie deine Wege mit Freundlichkeit bereichern und unserer Begegnung Ihre Liebe und Ihren Anstand
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