Pelbar 2 Die Enden des Kreises
Wieder kam der Traum, eine riesige, zottige Gestalt, die mit der Ahroes verschmolz. In dieser Nacht trank Stel den Rest des Wassers.
Auch am nächsten Tag erschien Scule nicht. Stel absolvierte wieder die Pelbarübungen, aber lustlos.
Wieder hatte er heftigen Durst. Verbissen arbeitete er an seinem Mantel und fütterte seine dicken Stiefel mit den weichen Sohlen mit vier seiner kleinen Felle aus.
Schließlich kehrte er in den Schlafsack zurück. Das Trockenfleisch hatte er nicht angerührt. Lieber Hun-gerqualen leiden als seinen Durst noch zu vergrö-
ßern.
In der nächsten Nacht kam der Traum wieder. Er schien noch größere Ausmaße anzunehmen. Das gro-
ße Tier erhob sich und schwebte direkt im Raum.
Dann schrumpfte es und wurde zu Ahroe. Sie nahm ihr Kurzschwert heraus, hielt es hoch, blies darauf und verwandelte es in eine Fackel, die den ganzen Raum erhellte. Anscheinend sah sie ihn nicht. Stel erhob sich auf die Knie und streckte die Hand nach ihr aus. »Ahroe«, krächzte er in seinem Durst. »Ahroe.
Hier. Hier. Hilf mir!«
»Ich hatte einen Gatten«, sagte die Vision Ahroes langsam und gemessen, mit ihrer Stimme, aber tonlos. »Er hieß Stel. Ich hielt ihn für stark. Er war schwach. Er verließ mich. Er wollte keine Disziplin akzeptieren. Einige sagen, er sei unaussprechlich gewesen. Ich weiß es nicht. Ich dachte, er liebe mich. Er ging fort. Ich folgte ihm, aber er entschlüpfte mir.
Nun werde ich mit meinem Flammenschwert sein Gedächtnis auslöschen.« Das Gesicht der Vision verzerrte sich plötzlich vor Haß, näherte sich dem knienden Stel und fuhr immer und immer wieder in weiten Bögen mit der Flamme durch ihn hindurch.
Der Schmerz schien ihn zu zerschneiden. Stel schrie immer wieder vor Schmerz auf. Die Vision lachte mit der Stimme Scules, blies das Schwert aus, steckte es in die Scheide und sagte leise: »Nun. Es ist vorbei. Es gibt keinen Stel mehr. Es gibt keinen ... wie hieß er doch? Er hatte keinen Namen. Es hat ihn nie gegeben.
Ich hatte ein namenloses Mißgeschick, aber jetzt ist es vorüber.«
Langsam verschwand die Vision. Stel krümmte sich auf dem Boden. Allmählich kamen Dunkelheit und Kälte zurück. Nein. Es war nicht geschehen. Er befand sich in Scules Gefängnis in den Bergen, es war Winter, er hatte nichts zu essen und kein Wasser, war Gefangener eines verbitterten, alten Wahnsinnigen.
Nun, es war nicht so wichtig. Vielleicht hatte die Vision recht.
Was sollte er tun? Er war durcheinander. Vielleicht würde er zum Buch Avens zurückkehren. Nichts war wichtig, sagte das Buch, außer, gerecht und gnädig zu sein und zu lieben. Was war mit der Wahrheit?
War er geschlagen? Und war es nicht doch wichtig, daß dieser elende, alte Mann ihn gefoltert hatte?
Würde er es so lange ertragen, wie er konnte, wie in Pelbarigan, und es dann fertigbringen, Scule im Dunkeln einen Pfeil in den Leib zu schießen, während er durch das Loch mit ihm sprach, obwohl er wußte, daß das seinen eigenen Tod bedeutete?
Nein, das würde er nicht tun. Mochte der Alte ihn töten, Stel würde ihn nicht töten. Zu allererst würde er damit seine eigene Hoffnung zunichte machen.
Zweitens hatte etwas Unbekanntes diesem alten Mann seine qualvollen Jahre eingebracht. Das hatte er alles in Stel hineinprojiziert mit seinem Mythos über die Sucher der Dahmens. Wenn er Stel tötete, konnte er vielleicht endlich Ruhe finden. Wenigstens blieb ein Menschenleben übrig, ganz gleich, wie verbogen, während es andernfalls in den ganzen Bergen keines mehr gab. Stel schlief wieder ein.
Am Morgen stand auf dem Boden ein Steinkrug mit Wasser und ein kräftiger Eintopf. Stel kroch hin und aß und trank sehr langsam. Es schmeckte gut. Er kehrte in den Schlafsack zurück und kroch in seinen Wintermantel hinein. An diesem Tag sprach Scule nicht mit ihm, und Stel schlief fast den ganzen Tag.
Die Nacht löste sich in Mattigkeit auf.
Am Morgen sagte die Stimme von oben: »Du mußt dich entschuldigen.«
»Ich entschuldige mich«, sagte Stel, immer noch im Schlafsack.
»Du mußt auch gestehen.«
»Ich gestehe. Was soll ich gestehen?«
»Du mußt gestehen, daß du gekommen bist, um mich zu holen, geschickt von den Dahmens, den unversöhnlichen Verwandten Visibs.«
»Das ist nicht wahr. Aber ich gestehe es.«
»Wenn es nicht wahr ist, warum gestehst du dann?«
»Es bedeutet dir anscheinend sehr viel. Für mich ist es nicht wichtig.«
»Wer ist Ahroe?«
»Ahroe?«
»Du hast in der Nacht nach Ahroe gerufen.
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