Pelbar 2 Die Enden des Kreises
wissen kann.«
Oben wieder langes Schweigen. Endlich sagte Scule: »Das redet man also in Pelbarigan von mir. Und was glaubst du, sagt man von dir?«
»Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Ich habe meine Familie. Meine eigene. Ich weiß, daß sie um meinetwillen Schande ertragen hat. Ich weiß aber auch, daß sie der Meinung ist, ich hätte getan, was ich tun mußte. Sagan riet mir, nach Nordwall zu gehen.
Nur an meine Frau muß ich denken.« Stel verstummte seinerseits und dachte an Ahroe.
»Du sollst nicht denken«, sagte Scule. »Deine Frau wird sich nicht an dich erinnern. Sie ist inzwischen entweder verheiratet oder begeht, wie bei den Dahmens so üblich, das Unaussprechliche. Sie ...«
»Hör auf, du verrückter, alter Kerl!« Stel war aufgesprungen und schrie zu dem Loch in der Decke hinauf. »Was weißt du denn? Du bist doch wahnsinnig. Du bist pervers. Du würdest die Anständigkeit nicht einmal erkennen, wenn du sie in der Falle hättest. Zum Teufel mit dir! Du weißt nichts von meiner Frau.« Stel hielt inne, um Atem zu holen, sein Geschrei schien in dem hohen, dunklen Raum vielfältig widerzuhallen.
Scule lachte. »Du weißt, daß ich recht habe. Sonst würdest du nicht so wütend werden. Außerdem hast du mich pervers genannt. Das werde ich mir nicht gefallen lassen. Jetzt sollst du erfahren, was Durst ist.«
Schweigen folgte, dann war aus der Ferne noch einmal Scules Gelächter zu hören. Also mußte Stel noch mehr Durst leiden. Zum Teufel mit Scule! Wenigstens hatte Stel ein bißchen Wasser, um auszuhalten.
Langsam schlug sein Zorn in Verzweiflung um. Er kroch in seinen Schlafsack und nahm einen kleinen Schluck aus seiner ausgepichten Flasche. Draußen hörte er undeutlich den Wind und spürte, daß er kälter geworden war. Und wenn Scule nun recht hatte? Wenn Ahroe wieder geheiratet hatte – nein.
Noch nicht. Die vorgeschriebene Wartezeit war noch nicht vorüber. Aber wenn sie ihn vergessen hatte?
Wenn man über ihn in Pelbarigan so redete, wie man über Scule geredet hatte, der eine Legende des Bösen geworden war? Stel konnte lange nicht einschlafen.
Endlich nahm er seine Flöte heraus und spielte in seinem Schlafsack auf dem Steinboden liegend ein paar Hymnen. Er wurde ruhiger. Endlich hörte er mitten in einer Hymne auf, weil ihn die Schläfrigkeit über-mannte, und zog seine Arme in den Schlafsack, um sie zu wärmen.
Oben schaute, wenn Stel es auch nicht sehen konnte, Scule in den Raum hinunter, beunruhigt, weil die Hymne nicht zu Ende gespielt wurde. Der Alte blickte lange Zeit finster durch das dunkle Loch. Er konnte Stels schweres Atmen hören.
Stel träumte von dem großen Tier in den Bergen.
Immer wieder erhob es sich auf die Hinterbeine und türmte sich vor ihm auf, sein Kopf suchte prüfend herum, die Nase schnüffelte die Luft. Es schien immer größer und breiter zu werden und hing über ihm. Langsam wurde das Tier zu Ahroe, dann wieder zum Tier. Schließlich wurde der Traum dunkler und ging in Tiefschlaf über.
Im grauen Licht des nächsten Morgens blies der Wind einen Wirbel von Schneeflocken in die Fensteröffnung und verstärkte die Kälte. Scule kam nicht.
Stel stand auf, absolvierte ein Übungsprogramm der Pelbar, kehrte dann, steif von der Härte des Steinbodens wieder in seinen Schlafsack zurück. Er steckte den Kopf in den Sack und nippte an seiner ausgepichten Flasche, aber sparsam. Wenn er Durst leiden mußte, wollte er wenigstens aushalten, solange er konnte.
Scule erschien den ganzen Tag nicht. Stel blieb meistens im Schlafsack, aber wenn ihm warm genug war, arbeitete er an seinem Wintermantel weiter. Die Nacht brach herein mit dem blauen Widerschein des Schnees. Wieder nippte Stel an der ausgepichten Flasche und stellte besorgt fest, daß er sich jetzt dem En-de seines Wasservorrats näherte. Hunger schnitt in seinen Magen. Die Nacht brachte noch mehr Verzweiflung. Schließlich und endlich hatte er sie verlassen. Er hatte das bei seiner Heirat gegebene Versprechen gebrochen. Hatte er Ähnlichkeit mit Scule? Und wenn Scule die Wahrheit sagte? Was war, wenn Ahroe – nein. Aber wenn sie ihn als Schwächling betrachtete, der es nicht wert war, daß man sich seiner erinnerte? Nun, was machte es aus? Er konnte nicht zurück. Andererseits war Ahroe nicht wie die anderen Dahmens. Sie war wie der Stahl eines Gardisten-schwerts. Sie hätte ihn verteidigt. Aber er war gegangen. Und sie hatte ihn nicht verteidigt. Aber sie war ihm gefolgt.
Stel schlief ein.
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