Pelbar 4 Der Fall der Muschel
dem Fenster zu ihm herunterstarren.
»Also gut. Das geht aber auf deine Kappe, nicht auf meine«, sagte der Mann. Gamwyn spürte, wie ihn Arme hochhoben und ihn durch das Tor zum mittleren Kreis und dann in die Dunkelheit eines der Häuser schleppten. Er spürte, wie ihn Hände berührten, ihn unsanft trockenrieben und ihn in eine Decke ge-wickelt in eine Ecke rollten, die mit Säcken gepolstert war, welche etwas wie Gras enthielten. Etwas Heißes wurde ihm an die Lippen gehalten. Er fühlte, wie er gegen eine Frau gedrückt wurde, spürte ihre von Stoff umhüllte, üppige Weichheit an seiner Wange.
Wieder kam das warme Getränk. Und noch einmal.
Sonst nahm er nicht viel wahr, merkte aber undeutlich, daß gestritten wurde. Gamwyn schwirrte der Kopf, und es wurde dunkel um ihn. Ihn kümmerte nichts mehr. Die Stimme der Frau keifte und schalt, aber ihre warmen Hände rückten um ihn her Dinge zurecht und stellten alles genau an den richtigen Platz.
»Mutter? Mutter?« fragte Gamwyn undeutlich.
»Nein. Nicht deine Mutter, du Dreckstück. Wir sind dazu gezwungen. Lieg still! Du mußt gesund werden.«
»Stück? Dreckstück?« fragte Gamwyn geistesabwesend, dann wurde es dunkel um ihn.
Als er endlich erwachte, blickte er in das runde Gesicht einer Frau mittleren Alters mit wirrem Haar, deren Augen sich fest auf ihn richteten. »Da. Endlich wachst du auf. Vier Tage. Vier Tage, daß du hier liegst. Wie ein Baumstamm. Jetzt verlange ich, daß du für mich arbeitest, als Entschädigung. Vier Tage.«
»Mutter? Mutter?«
Die Frau schüttelte ihn, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Gamwyn spürte, wie ihm wieder das warme Getränk an den Mund gehalten wurde, er trank dankbar in tiefen Zügen und keuchte schließlich: »Vier Tage? Es tut mir leid.
Ich habe viel Mühe gemacht.« Wieder fühlte er sich von Elend überwältigt und begann zu weinen. Die Frau drückte seinen Kopf an sich und fauchte leise ihren Mann an, der auf der anderen Seite des Raumes saß und ein Werkzeug schärfte. »Schau dir das an!
Ein Junge. Schwach. Armer Peshtak-Spion, weint nach seiner Mutter. Hat auch eine Mutter. Was soll das überhaupt? Das Komiteemädchen schaut ständig herein. Das ist nicht richtig. Warum macht ihr den Brunnen eigentlich nicht gleich richtig?«
»Das ist ein alter Brunnen, Maatha. Schade, daß es nicht Sommer ist. Aber es konnte nicht warten.«
Die Tür ging auf, und das pummelige Mädchen trat ein. Sie war kostbar in feines Tuch gekleidet, eine wallende Tunika reichte ihr bis an die Waden, darunter trug sie hohe Stiefel. Die beiden standen auf, die Hände vor sich gefaltet, die Köpfe geneigt.
»Er ist jetzt wach. Schickst du ihn zurück? Du bist hoffentlich zufrieden.«
Das Mädchen funkelte sie zornig an, dann sagte sie: »Laßt mich allein mit ihm! Er ist zu schwach, um mich anzugreifen. Wartet draußen!«
Widerwillig gingen die beiden hinaus. Als Maatha durch die Tür trat, steckte sie noch einmal den Kopf herein und sagte: »Er ist gerade erst aufgewacht. Muß bald wieder schlafen. Er ist noch nicht bereit, zurück-zugehen. Es ist noch zu früh.«
Das Mädchen wandte sich zur Tür, sagte aber nichts. Nachdem die Tür geschlossen war, stellte sie sich dicht vor Gamwyn und schaute auf ihn herab.
»Du bist ein Peshtak-Spion. Wie ist dein Name?«
»Gamwyn.«
»Sklave Gamwyn. Was ist das für ein Name?«
»Der, den mir meine Mutter gegeben hat. Gamwyn ist ein sehr alter Name in unserer Familie. Er hat bei uns Tradition.«
»Du redest sonderbar. Seltsame Wörter, die ich nie gehört habe.«
»Danke. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich tot.« Plötzlich konnte Gamwyn zum erstenmal seit Tagen klar denken. »Wenn du sie nicht aufgehalten hättest, hätten sie mich erschlagen oder mich verrek-ken lassen.«
»Du kannst noch viele Jahre schwer arbeiten. Es wäre nicht sehr intelligent, dich sterben zu lassen.«
»Du glaubst das, nicht wahr – diesen ganzen Mist, daß man Leute zu Sklaven machen und arbeiten lassen soll, bis sie sterben.«
Sie schnaubte. »Dies ist eine geplante Gesellschaft, alles ist genau durchdacht. Funktioniert bestens. Muß alles versorgt werden. Es ist für dich besser, solch einer Gesellschaft zu dienen, als nutzlos sein.«
Gamwyn war der Unterhaltung plötzlich müde. Er drehte sich auf die Seite. Er spürte, wie sie den Stiefel ausstreckte und ihn wieder auf den Rücken drehte.
»Geh weg!« sagte er. »Es hat keinen Sinn, vernünftig mit dir reden zu
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