Pelbar 5 Ein Hinterhalt der Schatten
gebrochen.«
Garet schaute sie angewidert an. »Man möchte meinen, er könnte inzwischen auf sich aufpassen.«
Ahroe warf ihm einen schnellen Blick zu. »Portain blieb unter Wasser hängen. Er hat ihr das Leben gerettet. Dann hing er selbst fest.« Garet schwieg. »Ich wollte, ich könnte verstehen, warum du ihn so ab-lehnst. Er hat doch wirklich alles versucht, dir ein guter Vater zu sein.«
»Wie denn? Sieh ihn dir doch an! Er weicht jeder Verantwortung aus. Was hat er denn jemals geleitet?
Der niedrigste Gardist versteht mehr von Führung als er. Ständig seilt er sich ab und macht komische Sachen. Es ist so peinlich.«
Ahroe klopfte mit ihrem Federkiel auf den Tisch.
»So. Das ist es also. Wie damals auf der Little Boy-Insel.«
»Ja. Ja, das. Und als er beim Winterfest nicht zu seinem Flötensolo erschienen ist. Er hat den Sonnenuntergang beobachtet und es vergessen.«
Ahroe begann zu lachen, und Garet sah, daß es mehr Frustration und Gefühlsentladung als Belusti-gung war. »Das hat er wirklich getan«, sagte sie.
»Er benimmt sich, als sei er ganz allein auf der Welt, als brauche er sich um niemanden sonst zu kümmern.«
Ahroe wurde plötzlich ernst. »Da täuschst du dich, Garet. Da täuschst du dich völlig.« Sie schien plötzlich müde. »Aber du brauchst dir seinetwegen keine Gedanken mehr zu machen. Ich bin mit ihm verheiratet, aber du bist nicht an ihn gebunden – oder er an dich. So. Und jetzt muß ich entscheiden, ob ich die erste Sitzung mit dem Wortlaut der letztjährigen Prä-
ambel eröffnen will oder die beiden Alternativen einführe, die seither vorgeschlagen wurden – eine von den Emeri und eine von Koorb. Alle drei sind fast gleich. Wenn du mir helfen willst, dann geh und bete deshalb und denk nicht mehr an Stel. Er muß eine Zeitlang allein zurechtkommen, ohne deine Aufsicht.«
»Und ohne die deine«, gab Garet zurück und wandte sich zum Gehen. »Daran ist er natürlich ge-wöhnt.«
Ahroe stand auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, aber Garet war schon fort. Sie ließ sich in ihren Stuhl sinken und las die Botschaft noch einmal, die der Gardist ihr gebracht hatte. Dann legte sie sie beiseite und breitete die drei Blätter vor sich aus. Den Kopf in die Hand gestützt, studierte sie sie noch einmal, eins nach dem anderen. Im Schein der Lampe waren in ihrem Haar graue Strähnen zu sehen.
Die ›Tatkraft‹ war in den Arge eingefahren und hatte mehr als siebzig Ayas flußaufwärts zurückgelegt. Der Fluß wurde schmäler, das Wasser stieg, trat über die Ufer und ergoß sich in die Prärie, überschwemmte den Wald, der den Fluß säumte. Stel, den Brustkorb fest eingebunden, genas schnell. Er war von der Arbeit befreit und verbrachte einen großen Teil des Tages damit, im Bug zu sitzen, nach Baumwurzeln und Treibholz Ausschau zu halten und Raydi beim Lesen und Rechnen zu helfen. Auch Portain saß bei ihm, wenn sie konnte, und legte ihm oft den Arm um die Schultern. Er ließ seine Hände im Schoß, schien aber ansonsten nichts dagegen einzuwenden zu haben.
Am Abend vertäuten sie die ›Tatkraft‹. Bei dem Hochwasser und so vielen Inseln konnte man den Fluß leicht verlieren.
Als die Mannschaft mit dem Essen fertig war und für den nächsten Morgen Holz geschnitten hatte, spielte Stel auf dem Vordeck leise auf seiner Flöte, und die Gardisten sangen Volkslieder und Pelbar-Hymnen. Der Fluß schlug in kleinen Wellen gegen Ufer und Gebüsch. Gelegentlich schrien Horneulen, und die Gänse zogen noch lange nach Einbruch der Dunkelheit über sie hinweg und schrien herunter; es klang wie das Bellen eines Rudels verirrter Hunde.
Raydi schlief an Deck ein, in eine Decke gehüllt, an ihren Vater gelehnt. Schließlich trug Aintre sie hinunter in die Frauenkajüte. Das Mädchen rührte sich kaum und rollte sich langsam zu einer Kugel zusammen, als Aintre die Decke um sie herum feststeckte.
Viel später, als Stel allein an Deck saß und auf das ferne Bellen und Heulen der Tanwölfe lauschte, hörte er ein Geräusch und sah Portain an seine Seite gleiten.
»Es wird kühl«, flüsterte sie. »Frierst du nicht?«
»Kaum. Hör dir das nur an. Ich kann mindestens fünf verschiedene Tanwölfe unterscheiden. Einer heult viel tiefer als alle übrigen.«
Portain fröstelte ein wenig, legte dann den Arm um Stel, drehte sich langsam zu ihm, suchte seinen Mund und küßte ihn. Stel nahm den Kuß widerstandslos entgegen, gab dann seine Zurückhaltung auf, schob den linken Arm um den
Weitere Kostenlose Bücher