Pelbar 5 Ein Hinterhalt der Schatten
es enthielt sauber aufgerollte Angelleinen, einen kleinen Stoffbeutel mit Reisebrot, einen Ring mit Haken und ein Ködermesser. Stel wurde sich plötzlich seines na-genden Hungers bewußt, kaute an einem der runden Brotstücke und trank Wasser aus dem See. Der Nebel wogte weiter vorbei, langsam und formlos. Er beschloß zu fischen, mit Reisebrot als Köder, und ließ eine Leine träge über die Bootswand hängen.
Der Nebel wurde heller, verzog sich aber nicht.
Schließlich spürte Stel das leichte Rucken, als ein Fisch am Köder knabberte. Er nahm die Leine zwischen Daumen und Zeigefinger und versuchte, den Haken einzusetzen, zog ihn aber tropfend und leer heraus. Weitere Versuche verliefen ebenso erfolglos.
Schließlich wurde ihm klar, daß er seinen kleinen Es-sensvorrat als Köder vergeudete. Eine Zeitlang saß er untätig da, dann versuchte er es noch einmal.
Diesmal faßte der Haken, Stel spürte einen zap-pelnden Körper und zog einen zuckenden Seebarsch ins Boot. Er nahm den Haken heraus, tötete den Fisch und nahm ihn aus; dann lag das Tier in seinem Schoß, glitschig und weiß. Sollte er es roh essen? Ihm drehte sich der Magen um. Er hob den Fisch an den Mund, aber bei dem Geruch, wiewohl er frisch war, wurde ihm übel. Vielleicht konnte er den Fisch als Köder verwenden. Und wenn er dann andere Fische fing? Würde er die essen? Warum dann nicht gleich diesen?
Er legte den Fisch in den Bug, wusch sich die Hän-de und versuchte dann, sich in dem schmalen Boot zurückzulegen. Seine breiten Schultern wurden von den Bootsrippen zusammengedrückt. Er richtete sich wieder auf und ließ sich nach vorne sinken. Dann begann er über seine Zwangslage zu lachen. Es war doch absurd. Das war das Leben, wie ein formloser Klumpen, von ungelenkten Kräften zusammengeballt und wieder ausgewaschen. Er versuchte wieder zu beten – aber zu wem? Aven schien ihm mehr eine Institution denn eine echte Gottheit zu sein. Er versuchte für Raydi zu beten, da sie, ein weibliches Wesen, ja für Aven voll akzeptabel war und, wie er an-nahm, noch immer an SIE glaubte. Aber das war lä-
cherlich.
Als die Nebelhelligkeit schwächer wurde, beschloß er endlich, sich diejenigen Ideen aus der Pelbar-Theologie herauszusuchen, die er noch akzeptieren konnte: Daß Leben ein Muster und eine intelligente Führung haben mußte, obwohl doch das Chaos so offenbar zu sein schien. Daß Ethik, jene Eigenschaften, die im menschlichen Verhalten in Ehren gehalten wurden, wenn es sich an der Vorstellung von dem orientierte, was die Führung der Welt sein sollte, möglich, für den menschlichen Charakter erreichbar war. Er erinnerte sich an die Schlußfolgerungen, zu denen er im Gefängnis in den Bergen weit im Westen gelangt war, aber damals hatte er noch geglaubt, und das hatte ihm geholfen. Inzwischen wurde Raydi in dem Tantal-Schiff immer weiter fortgetragen. Was würden sie ihr wohl antun?
Bei diesem Gedanken spürte Stel hinter seinen Augen einen rotglühenden Hitzeschwall aufsteigen, und er schrie voll Verzweiflung auf. Der Schrei wurde vom Nebel ringsum verschluckt. Stel hörte sich sagen: »Aven, ich weiß nicht, ob DU wahr bist oder nicht, oder was von DIR wahr ist, aber DU mußt mir helfen. Nicht um meinetwillen. Ich betrachte mein Leben als vergeudet. Es geht um Raydi, die nach jeder gerechten Betrachtungsweise unschuldig ist.« Das Licht wich langsam aus dem Nebel und dem Wasser, und wieder befand sich Stel in fast völliger Finsternis.
Irgendwie fühlte er sich jedoch ruhiger und fragte sich, ob das wohl die Ruhe völliger Verzweiflung war. Er lehnte sich gegen die Ruderbank, wieder eine sehr unbequeme Stellung, schlief aber ein.
Als er viel später erwachte und zum Himmel aufschaute, sah er die klaren Punkte von Sternen – ein ganzes Firmament voll. Ja, da war der Mattenweber, der Histo der Shumai, Setts funkelte blau. Ganz oben, schwach, aber scharf umrissen, glühte die Sternen-krone, jeder einzelne Stern hatte bei den Shumai einen Namen. Stel erinnerte sich an Odu, Ictu, Assu und Orau. Seine Augen schnellten zu den Zeigerster-nen im Norden und zum Nordstern, den die Leute aus der Kuppel Polaris nannten. Hoch oben standen auch die fünf Sterne der Pelbar-Fahne, Pells Sterne, die, wie sie gesagt hatte, Aven gehörten, die die Shumai aber als Wildgans sahen.
Plötzlich renkte sich Stels Welt wieder ein. Er drehte das Pfeilboot nach Süden. Er wollte an der Kü-
ste entlang bis zur anderen Seite des Bittermeeres rudern. Dann würde
Weitere Kostenlose Bücher