Pelbar 6 Das Lied der Axt
nichts dagegen. Er wollte das Boot fertigstellen und verschwinden. Mehrfach ertappte er sich dabei, wie er mit einer gewissen Sehnsucht flußaufwärts blickte, aber er schüttelte sie ab. Das Eistal lag schon weit in seiner Vergangenheit.
Zwei Wochen später ruderten Tor und Tristal in den morgendlichen Glanz des breiten Flusses hinein, das neue Boot war fertig und durch die Hilfe der Einhei-mischen sehr verbessert worden.
Ein junge Frau, die beim Fischsäubern war, unterbrach ihre Arbeit und sah ihnen nach. Dann legte sie ihr Messer nieder, spülte sich die Hände ab und ging zu dem Felsen hinauf, wo ihr Großvater saß und den beiden ebenfalls nachblickte.
»Glaubst du, daß sie wiederkommen werden, Großvater?«
»Ich glaube nicht. Der jüngere vielleicht, aber wahrscheinlich ist das nicht, Akeena.«
»Das ist schade.«
»Hast du denn nun mit ihm geschlafen?«
»Nein. Er war über etwas bekümmert und kam gar nicht auf die Idee.«
»Aber du hättest es getan?«
»Ja, ich hätte es gern getan. Er ist so groß. Sein Haar ... es ist nicht kupferfarben. Zu hell und ...« Ihre Stimme erstarb.
»Wie getrocknetes Gras, feucht vom Nebel?«
»Ja. Genau so. Ich kann sie nicht verstehen, besonders Einhand nicht.«
»Ich hätte nie gedacht, daß ich diesen Tag erleben würde, Akeena, daß ich sie sehen würde.«
Akeenas Augen wurden groß. »Was meinst du?«
»Nein. Götter sind sie nicht. Aber sie sind die ersten.
Die Welt öffnet sich wieder. Wir waren schon vor den Alten hier. Ich weiß das, kann aber nicht sagen, wieso ich es weiß. Wir waren auch während der Zeit hier, die die Ruinen auf der Ovalinsel hinterlassen hat. Wir sprechen ihre Sprache, aber auch die private Sprache der Götter. Jetzt fängt alles von vorne an, öffnet sich wieder nach dem langen Schlaf. Einhands Geist bewirkt das. Er zieht den anderen, Tristal, mit, so wie man einen gefangenen Seehund hinter einem kleinen Boot herziehen würde.«
»Warum? Warum konnte er ihn nicht bei mir lassen?«
»Der Junge würde nicht bleiben. Er will auch gehen, aber er weiß noch nicht, wie. Deshalb wird Einhand ihn verraten.«
»Ihn verraten? Sein eigen Fleisch?«
»Natürlich. Und zwar schon bald. Warum, glaubst du, ließ er Tristal so genau achtgeben, wie dieses Boot gebaut wurde? Bald genug wird Einhand darin da-vonrudern. Ich spüre das.«
»Eine schreckliche Sache.«
»Nicht schrecklich. Er weiß noch nicht einmal, daß er es tun wird. Aber ich spüre es. Es ist der Verrat der Welt. Mona hat mich auch verraten, weißt du, indem sie starb.«
»Wie? Indem sie starb? Sie wäre geblieben, wenn sie gekonnt hätte.«
»Und doch bin ich allein zurückgeblieben und muß die ganze Zeit um sie trauern. Es war ihr Verrat, weil sie Teil des Rhythmus der Welt war, und Verrat ist die Art, wie sich die Welt bewegt. Wenn Einhand Tristal nie verraten würde, würde der Junge niemals wachsen. Er schimpft darüber, aber er richtet sich nach Einhand, seinem Urteil und seiner Führung.«
»Aber das Boot zu nehmen –«
»Tristal hat jetzt die Mittel, sich selbst ein Boot zu bauen. Es ist in ihm. Dafür hat Einhand gesorgt. Und ich auch. Ich habe es gesehen und habe ihm geholfen.
Wenn er es ins Wasser schiebt, wird er zu sich sagen: ›Das ist mein Boot, mein Leben, meine eigene Zukunft. Jetzt bin ich der einzige Ruderer.‹«
»Dann ist es gut, daß du hier warst, um ihnen zu helfen. Es wäre sonst kein sehr gutes Boot geworden, nicht wahr?«
»Sie leben nicht in Booten, obwohl sie ein Gefühl für Flüsse haben.«
»Die Augen, die du geschnitzt hast. Sie werden ihnen sehen helfen. Wie soll Tristal wissen, wie man die Augen schnitzt?«
»Die geschnitzten Augen sind nur das Zeichen da-für, daß sie selbst sehen. Ein Teil von Tristals Sehen schläft, und Einhand hat sich vergebens bemüht, es zu wecken. Bald genug wird es durch das kalte Wasser von Einhands Verrat aufgeschreckt werden. Wir werden es nicht miterleben. Aber ich weiß es genauso, wie Einhand es weiß.«
»Dann ist er also ein Prophet?«
»Ja. Und sein Lohn werden der kalte Wind und das fließende Wasser sein. Er hat ein Herz aus Eisen, Kind. Es wurde geschmiedet, aber es ist nicht zerbrochen. Durch seine Kraft und durch Einhands Sehen werden wir alle verändert werden.«
»Verändert also? Nicht gesegnet?«
»Gesegnet, wenn du die Veränderung ertragen kannst. Sieh mich an, Akeena! Mein graues Haar strömt mir vom Kopfe wie Wasserläufe von den Bergen. Ich bin ein Teil dessen, was immer
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