Pelbar 6 Das Lied der Axt
heißt du?«
»Rizon.«
»Tristal.«
»Ich weiß.« Der Mann erhob sich, klopfte sich seine Gamaschen ab und schlenderte wieder an die Arbeit.
Der Frühling schien endlos auf sich warten zu lassen, wieder peitschten Nebel und kalte Regengüsse vom Meer herein, aber endlich wurde das Wetter milder, und Bäume und Gräser reagierten darauf. Für Tristal war das eine Zeit noch größerer Belastung, denn er sah, wie die Sterne ihre Stellung änderten und wußte schließlich, daß ihm nun noch genau ein Jahr blieb, um nach Hause zu kommen. Es schien völlig unmöglich. Er war einer Flucht nicht näher als zuvor. Er wußte, daß es im Osten Berge gab, und die wollte er nicht im Winter überqueren. Wenn es noch lange dauerte, bedeutete das eine sehr harte Reise im Winter. Er versuchte wieder zu beten.
Weit im Osten, in Pelbarigan, beobachtete auch Fahna, wie sich die Sterne der Frühlingstagundnacht-gleiche näherten und sie überschritten. Sie blieb dicht bei Eolyn, der Frau aus der Kuppel, und wich anderen Leuten aus. Als Bravet kam, mit seiner wachsenden Bande, die jetzt größtenteils aus unruhigen, jungen Männern bestand, gelang es ihr, auch ihm auszuweichen. Er lungerte zwei Tage lang ruhelos und wütend herum, mußte aber schließlich zur Sommerjagd aufbrechen, damit die, die ihm folgten, ihn nicht für einen Schwächling hielten. Aber am Morgen ihrer Abreise fanden die Pelbar die Zahl Eins in Steinmauern gekratzt, in riesigen Lettern in den Flußschlamm gezeichnet, auf Papierfetzen in Bäume gehängt und sogar auf einer großen Fahne, die auf einer der Flußinseln an der Spitze eines Baumes befestigt war.
Ein paar Gardisten wußten, was das zu bedeuten hatte, und so erfuhr es bald die ganze Stadt. Fahna zog sich mehr zurück denn je. Eolyn beschäftigte sie ständig.
SECHSUNDZWANZIG
Tristal schwang seine schwere Hacke in einem Kar-toffelfeld, während der Jubel schwach von der Bucht heraufdrang. Die Iyunwah feierten das Auslaufen von sechs Sklavenfängern – großen, flachen Segelschiffen, die das Land weit im Norden nach Fischern durchkämmen und sie fangen sollten. Tristal streckte sich, schaute sich um und hackte dann wieder rhythmisch weiter, ehe der Aufseher ihn züchtigen konnte. Im Inneren spürte er eine tiefe Verbitterung gegenüber diesen seltsamen Menschen, die ihren Gefangenen gegenüber so völlig blind waren.
Einen Augenblick lang war er nahe daran, den Sklavenschiffen einen Fluch der Priester des Eises hinterherzuschicken. Tristal wurde von ätzendem Haß überwältigt, wenn er an seine Situation dachte, und daran, wie Tor ihn in gewissem Sinne darin im Stich gelassen hatte. Aber dann meinte er, Tors Gesicht zu sehen und ihn fragen zu hören: »Wo ist deine Ehre geblieben, dein Gefühl für Wahrheit, für Gerechtigkeit, und deine Liebe?«
»Wie habe ich denn Gelegenheit dazu?« fragte er laut, dann schaute er zur Seite, weil mehrere Sklaven in seiner Nähe zu arbeiten aufhörten und ihn ansa-hen.
»Macht weiter! Ruhe!« kommandierte ein Wärter, der mit zwei der riesigen Iyunwah-Hunde in der Nä-
he vorbeipatrouillierte.
Tristal fragte sich, ob er dabei war, den Verstand zu verlieren. Er würde mehr Selbstbeherrschung demon-strieren müssen. In diesem Augenblick traf seine Hacke auf einen runden, angeschwemmten Stein und spaltete ihn glatt, wie einen der Steine, die Tegrit bearbeitet hatte. Sofort fragte sich Tristal, wo er seine Gedanken gehabt hatte – er war ja von Material für Werkzeuge und Waffen umgeben! Jetzt wünschte er, Tor und Tegrit mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, obwohl er sich ja im Gefängnis im Eistal ein wenig mit Werkzeugmachen beschäftigt hatte. Hier konnte er wirklich mit dem Widerstand ansetzen.
Zuerst mußte er den verborgenen Lagerraum in seiner Höhle vergrößern, um Material darin aufbewah-ren zu können. Mit Steinwerkzeugen konnte er weitere Waffen anfertigen. Er würde unendlich vorsichtig sein. Aber er hatte weniger als ein Jahr Zeit, um nach Hause zu kommen. Zu lange durfte es nicht dauern.
An diesem Nachmittag kamen zwei Wärter und zogen ihn beiseite. Man brauchte ihn, um ein Grab auszuheben. Das hatte er schon früher gemacht, hoch oben auf der felsigen Landspitze über der Bucht, wo die Iyunwah die gewöhnlichen Leute begruben. Das Graben war schwierig und versprach, ihn bis weit in den Abend hinein zu beschäftigen. Gefährlich war es auch; er hatte von Fällen gehört, in denen die Iyunwah, von der Trauerfeier noch angetrunken, den
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