Pelbar 6 Das Lied der Axt
Augen zu haben.«
»Es ist unsere Pflicht. Wir halten ihn durch Kraft unseres Geistes in Schach, genau wie Jäger den gro-
ßen braunen Bären in Schach halten.«
»Sie halten ... was? Ich verstehe nicht. Was ist das?«
Der Priester lachte und deutete auf ein riesiges, braunes Fell, das an der Wand hing. »Das hier«, sagte er. »Stärker als Ochsen oder Flachhornhirsche. Viel schneller als Mensch. Brüllt wie Sturz von Eisfassade.
Frißt Menschen, wenn er kann. Kommt meist im Frühwinter, nahe am Eis oder von Norden. Wenn du hierbleibst, wirst du sehen.«
»Ihr habt also nichts dagegen, wenn wir hierbleiben?«
»Nein. Wir sehen euch nicht als Gefahr. Ihr könnt bleiben. Ihr seid, wie ich schon sagte, rechtzeitig zu Segelzeremonie gekommen. Gut. Ihr werdet Wunder sehen, wie ihr sie euch niemals vorstellen konntet.«
Tor blickte zu dem Flügelgebilde hinauf, das über die Decke ausgebreitet war. »Damit?« fragte er.
»Damit und mit Kraft unserer Gedanken. Unsere Pflicht«, antwortete der Priester.
Tor blickte die Flügel seltsam starr an. »Bemerkenswert«, sagte er.
»Wir danken euch für Kommen. Ihr könnt gehen.«
Die beiden Shumai standen auf. Als sie zum Eingang gingen, wurden beide von einer sonderbaren Schwä-
che überfallen und die Knie zitterten ihnen. Dann ging es vorüber, und sie verließen das Gebäude.
Als sie draußen waren, wandte sich die Frau an den Oberpriester und sagte: »Was meinst du?«
»Jüngerer ist Kind. Älterer nicht. Er ist gefährlicher Mann. Hat unser Denken aus Jüngerem vertrieben.
Wußte Bescheid. Tegrit hat ihm erzählt.«
»Wie hat er das denn gemacht? Ist er eingeweiht?«
»Ich weiß nicht. Aber er ist Jäger. Das gibt ihm Mut. Er ist Mann, der Angst nicht kennt. Überhaupt keine Angst. Habt ihr seinen Mut gespürt? Auch Jüngerer hat viel Mut, aber wenig Erfahrung. Jüngeren können wir erreichen. Habt ihr gemerkt, wie Älterer zuließ, daß wir Jüngerem Gedanken über Mathematik entnahmen, aber nicht, warum sie hier sind? Da steckt mehr dahinter.«
»Aber du hast gesehen, wie wir ihnen Kraft aus Beinen genommen haben.«
»Habe gesehen, wie sie zugelassen haben.«
»Sollen wir sie vernichten oder fortschicken?«
»Nicht wir. Wir machen Streit, um sie zu vernichten. Und mit Tegrit tun wir das gleiche.«
»Was ist mit Werkzeugmachen? Er kann es am besten.«
»Andere müssen es lernen. Ist notwendig. Wir brauchen Ordnung. Können nicht zulassen, daß Unordnung in Sedge einzieht. Ist zu wichtig. Besser, er stirbt, als daß ganze Gesellschaft in Unordnung und Gefahr gestürzt wird.«
»Wir haben schon viel zu lange gewartet«, sagte ein kleiner Mann am Ende des Priesterkreises.
»Er kennt unsere Gedanken; wir können nicht zulassen, daß er andere warnt. Er hat viel Schaden angerichtet.«
»Was werden seine Großneffen denken? Einer wird morgen segeln.«
»Er ist genügend ausgebildet. Er wird wissen, daß wir im Recht sind.«
»Mage, darum kümmerst du dich!«
»Er ist ausgebildet. Ich werde Hilfe brauchen.«
»Wir werden alle beitragen. Laßt uns jetzt ein wenig darüber nachdenken!«
Draußen fragte Tor: »Tristal, was ist die Quadratwurzel aus einhundertsechsundneunzig?«
»Vierzehn natürlich«, erwiderte Tristal mit verständnisloser Miene.
»Dann weißt du also gar nicht mehr, daß dich der Priester danach gefragt hat?«
»Er hat mich danach gefragt? – Nein.«
»Du hast gesagt, es sei neun.«
»Nein! Ich ...«
»Sein Gedanke hat es dir befohlen. Du hast dich beeinflussen lassen. Wir werden vorsichtiger sein müssen, als es jemals bei einer Jagd erforderlich war.
Glaube nichts, was dich zornig macht! Glaube nichts, was dich an mir oder an Tegrit zweifeln läßt! Prüfe jeden Gedanken! Laß dich zu keinerlei Gewalttätigkeit verführen!«
»Bist du sicher, daß es so schlimm ist? Sie sind doch keine Ungeheuer.«
Tor warf ihm einen Blick zu. »Was habe ich dir soeben gesagt?«
»Aber du mußt mir doch erlauben, zu einem unabhängigen Urteil zu kommen.«
»Ja. Genau. Aber zu deinem Urteil, nicht zu meinem! Nicht zu ihrem! Du wirst dazu kommen, wenn du dich auf die Werte konzentrierst, die du schon immer kennst. Prüfe ständig alles! Prüfe! Unternimm überhaupt nichts, ehe du das nicht getan hast!«
»Was ist mit dir? Ich habe deine Knie zittern sehen, als wir gingen. Sie haben über uns gelacht. Sie wollten uns damit zeigen, daß sie alles tun könnten, was sie wollen, aber daß sie jetzt nicht die Absicht dazu hätten.«
»Ja.
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