Pelbar 6 Das Lied der Axt
dabei sein. Wie ich jetzt se-he, sind die Jäger gespalten. Dardan war ein natürlicher Führer. Einige sind tief befremdet über seine Verurteilung. Andere sind den Priestern völlig hörig.
Wir müssen Dardan irgendwie herausholen.«
»Würde er mitkommen?«
»Ich weiß es nicht. Er steckt tief in diesen Vorstellungen. Und sie haben ihn da drin bestimmt durch die Mühle gedreht.« Er deutete auf das alte Lagerge-bäude, das zur Dunkelhaft benützt wurde.
Während die beiden noch miteinander sprachen, hörten sie Musik; es wurde auf gespannten Tierhäuten getrommelt, mit Ochsenknochen geschlagen, Flöten trillerten. Eine Prozession näherte sich Tegrits Haus, um Orsel zu ihrem Dienst zu geleiten. Sie sangen wieder einen der monotonen Seglergesänge.
Während Tristal noch hinsah, schlüpfte Tor davon.
Als sie näherkamen, trat Orsel aus dem Haus, in einem frischen, gebleichten Ledergewand, das Haar aufgesteckt, die Füße in hohen, weißen Stiefeln mit Holzspanwebmuster. Sie starrte zu Boden, entweder aus Bescheidenheit oder voller Ingrimm. Die Prozession nahm sie in die Mitte und führte sie auf den freien Platz vor dem Haus der Priester. Noch mehrere Gesänge wurden angestimmt, die Segler marschierten in langsamem Tanz im Kreis herum, in der Mitte saß Ojam in einem Stuhl und Orsel kniete vor ihm auf dem Boden. Der Oberpriester hielt eine kurze Ansprache, in der es um die Hingabe an die große Pflicht ging, das Eis für die ganze Menschheit zu-rückzuhalten, dann forderte er Orsel auf, ihr Ver-pflichtungsgedicht an Ojam zu sprechen, der blöde und wohlwollend zu ihr hinunterlächelte.
Während die Zeremonie ablief, schaute Tristal in ständig wachsender Verzweiflung zu, bis Tor plötzlich wieder auftauchte und ihn beiseitezog.
»Ich habe mit Dardan gesprochen«, murmelte er.
»Wie? Er wird doch bewacht.«
»Das hier lenkt alle ab. Ich kam von der Rückseite und duckte mich durch das Rauchloch hinunter.«
»Wie geht es ihm?«
»Er ist zutiefst deprimiert. Aber die Priester sind weniger weit gekommen, als sie glaubten.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Keine Zeit für Erklärungen. Er ist aber ein mutiger und entschlossener Mann. Und jetzt habe ich ihm ein paar Anweisungen gegeben, wie er sich verteidigen kann.«
»Wie?«
»Das habe ich dir alles gesagt; das meiste hast du gar nicht gehört. Aber vergiß das. Hör zu! Ich weiß nicht, was geschehen wird, aber er ist nur zu bereit, alles zu versuchen, um Orsel zu retten.«
»Dafür ist es zu spät. Bald wird es dunkel sein, und ...«
»Genau. Dunkel. Das kann unsere Chance sein. Ich habe Ulpan und ihre Tochter schon nach Süden zur ersten Rasthütte auf dem Weg zur Kartoffelpflanzung geschickt. Und sieben andere sind noch mitgegangen – lauter alte Leute. Keine Kämpfer. Eigentlich Bela-stungen. Deine Sache ist es, Orsel rauszuholen. Ich habe andere Aufgaben – die wichtigste ist, Dardan zu befreien.«
»Nun, Orsel beginnt gerade mit ihrem Gedicht.«
Das Seglermädchen blieb auf den Knien liegen, hob aber die Arme und sagte mit klarer, singender Stimme: »Höre nun meinen Verpflichtungsgesang, der wie Herzblut aus mir herausgezogen wird.«
»Das ist vielleicht ein Anfang«, flüsterte Tor.
Tristal machte ungeduldig das Jägerzeichen für Schweigen. Orsel begann in einem monotonen Singsang: »Stets sagt man: Setze leicht den Fuß auf kleine Tundrablümchen – wes' Schritt ist leicht genug für sie, barfuß, in kaltem Wind?
Doch du, mein Liebster, mit dem schmalen Schuh,
und scharfem Messer aus dem kalten Stein, der du aus windverwehter Öde kamst, aus klammem Eis und frost'gem Wind, du hast dem Eis den Weg bereitet, das nun das Land, die Blumen zu zermalmen droht,
mit eiseskalter Hand uns würgt und Wärme, Licht und Freiheit raubt, du, der mein Herz erstarren macht, mein Herzblut mir gefrieren läßt.«
Nachdem Orsel das ruhig und klar gesungen hatte, faltete sie die Hände im Schoß und blickte zu Boden.
Ein allgemeines, meist zorniges Raunen ging durch die Menge. Ojams Gesichtsausdruck hatte sich von blöder vergnüglicher Herablassung zu allmählicher Erkenntnis der Zurückweisung, von Scham zu Zorn gewandelt. Er und die anderen Priester funkelten Orsel in schweigendem Zorn an. Plötzlich erhob sie sich, fuchtelte wild mit den Händen, schaute völlig ent-setzt geradeaus, schrie auf, stürzte zu Boden und lag reglos da. Tristal warf einen Blick auf seinen Onkel; der aber stand schweigend, die Hand vor die Augen gelegt. Dann schaute Tor
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