Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inselbeichte
Vom Netzwerk:
Jung.
    Das Telefon klingelte. Er dachte sofort an Immo und meldete sich mit Namen und ohne Titel und Funktion.
    »Jung, moin.«
    »Tammen am Apparat. Guten Tag. Sie baten um meinen Rückruf. Was kann ich für Sie tun?« Seine Stimme klang professionell. Sie hatte diese unnachahmliche Mischung aus Zuwendung und gänzlicher Interesselosigkeit.
    »Tomas Jung hier, dein alter Klassenkamerad. Du hast mich über Silvester eingeladen.«
    »Aber hallo, natürlich, Jungi, altes Haus. Du musst entschuldigen, meine Sekretärin hat uns verbunden. Ich war ganz woanders. Außerdem das Alter, das Alter. Oh je, oh je, es trifft uns alle. Oder dich etwa nicht?« Er lachte laut, und Jung sah ihn geradezu vor sich, wie er vor lauter freudiger Überraschung den Kopf in den Nacken warf, den Telefonhörer vom rechten auf das linke Ohr wechselte und den Bürohimmel lauthals anlachte.
    »Ja, Immo, recht hast du. Aber das Alter hat auch seine Vorteile.« Jung hatte Mühe sich auf die Ebene seines Gesprächspartners einzustellen.
    »Welche sind das denn, Jungi? Mensch, noch immer der alte Miesepeter mit den tiefschürfenden Gedanken?«
    Immos Humor kam Jung bekannt vor. Der Klang und die Diktion versetzten ihn zurück in seine Schulzeit. Sein Erstaunen darüber, wie frisch das Gefühl war, so, als hätte es die Jahre dazwischen gar nicht gegeben, grenzte fast an Entsetzen. War die Zeit wirklich so unwirksam und die vermeintliche Weiterentwicklung aus schmerzlichem Erleben und angesammelter Erfahrung nur pure Einbildung? Jung war peinlich berührt.
    »Immo, nun sag mal, wie hast du uns alle gefunden?« Jung wechselte ins Pragmatische, wo er sich wohler fühlte.
    »War ’ne Schnapsidee. Ich fand das ganz lustig. Um ehrlich zu sein, ich hab die Recherche meiner Sekretärin überlassen. Sie ist schon lange bei mir, die gute Seele. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne sie machen sollte. Du kennst das ja sicherlich. Hat sie gut gemacht, nicht wahr?«
    »Ja, bis auf zwei. Wer sind die denn?«
    »Ja, warte mal. Du bist der Letzte, der zusagt. Die zwei Ausfälle sind Jost und Udo.«
    Jung überlegte kurz.
    »Immo, du musst mir helfen. Jost, wer war das noch?«
    »Ha, Jungi, erwischt. Doch schon alt geworden, was? Nichts für ungut, mir ging es nicht anders. Aber an Jost erinnere ich mich sehr gut. Das war der große Blonde mit dem mediterranen Charme. Nichziol hieß er mit Nachnamen.«
    Jung stutzte kurz und versuchte sich vorzustellen, wie er sich einen mediterranen Charme vorzustellen habe. Die Wortwahl schien ihm befremdlich zumindest aber ziemlich exotisch.
    »Ah, jetzt dämmert es auch bei mir«, erwiderte er. »Natürlich, er hatte einen runden Rücken und fuhr ein klappriges Fahrrad mit französischem Lenker, nicht wahr?«
    »Genau, genau, das war er. Er ist schon lange tot. Während seines Studiums oder kurz danach bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Aus die Maus. So früh, schrecklich. Sönke erzählte mir das, als ich mit ihm sprach.«
    Jung konnte zudem niemanden mit dem Namen Sönke in seiner Erinnerung ausgraben. Er wollte nicht länger fragen und mit jeder Frage noch dümmer dastehen als vorher. Er ging deshalb in die Offensive.
    »Und Udo? Wo ist der abgeblieben?« Jungs Sprachmimik suggerierte, als wisse er genau, von wem er sprach.
    »Ja, Udo, weiß der Henker, wo der steckt. Schon damals hatte man ja Schwierigkeiten, ihn überhaupt zu sehen. Du erinnerst dich doch, Jungi altes Haus, nicht wahr?«
    Ja, jetzt erinnerte sich Jung an den großen, etwas grob und unbeholfen wirkenden Jungen mit dem kräftigen, strubbeligen Haarschopf. Er sagte nie viel und sprach immer leise und gleichmäßig, so, als wolle er sich entschuldigen für das, was er zu sagen hatte. Er wagte nie laut zu werden. Ein Dauergrinsen war auf seinem Gesicht festgezurrt und gab ihm eine dümmliche Aura. Sie verhinderte zu erkennen, dass er intelligent und voll tiefgründigem Interesse war.
    »Ja natürlich«, erwiderte Jung abwehrend. Er wechselte das Thema, um nicht noch länger über ehemalige Klassenkameraden reden zu müssen. »Und jetzt hast du dich an der alten Schule gerächt und sie nach deinem Willen umgemodelt. Ist dir übrigens gut gelungen, Immo, mein Kompliment.«
    »Gerächt? Aber Jungi, nicht doch, nicht doch. Ich hab ihr ein würdiges Denkmal gesetzt. Die alte, stinkige Penne mit ihren witzigen Typen, das ist doch heutzutage ’n Hit, Mensch.«
    »Ich fand daran gar nichts witzig, Immo.«
    »Ach Jungi, alter Miesepeter, doch immer noch der

Weitere Kostenlose Bücher