Pelte, Reinhard
Ehegattinnen auszuarbeiten. Wir haben doch zum Beispiel das Theodor-Storm-Haus hier in Husum. Sie sind doch Akademiker. Für die Damen wäre ein Besuch sicherlich attraktiv und sehr lehrreich gewesen.«
Jung lachte lautlos und versuchte sich vorzustellen, wie man ticken musste, um auf solche Zusammenhänge zu kommen.
»Und was hat der liebe Immo dazu gesagt?«, fragte er fürsorglich.
»Bea, hat er gesagt, Bea, du bist zu gut für diese Welt. Mach dir ein paar schöne Tage und lass uns alte Knacker allein mit unserer Nostalgie. Er war durch nichts dazu zu bewegen. Er hat eben seinen eigenen Kopf. Ja, so ist er. Immer fürsorglich bemüht um seine Mitarbeiter.«
»Ja, wirklich sehr aufmerksam von ihm. Aber das Wetter hat da ja nicht mitgespielt, nicht wahr? Haben Sie nicht selbst auch Familie?«
»Ja, selbstverständlich. Aber mein Mann arbeitet Schicht, und meine beiden Großen feiern lieber auf Malle. Sie sind da wirklich oft. Sie haben viele, sehr, sehr gute Freunde da.«
Jung rätselte nur kurz, was sie mit Malle gemeint haben könnte: Mallorca oder die Malediven.
»Oh, wie schön für Sie. Das klingt ja wunderbar.«
»Ja, sie sind ganz prächtige Menschen. Ich liebe sie.«
Jung glaubte nun, das Gespräch beenden zu müssen.
»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Familie. Schicken Sie mir die Adressliste meiner alten Schulkameraden zu? Ich wäre Ihnen sehr zu Dank verpflichtet.«
»Aber selbstverständlich gerne, Herr Doktor Jung. Aber was ich Ihnen erzählt habe, bleibt unter uns, nicht wahr? Kein Wort zum Chef, bitte.«
»Sie können sich auf mich verlassen, Frau Schirmer. Großes Ehrenwort. Wo ist Immo jetzt eigentlich?«
»Er macht Urlaub in Syrien. Er hat sich seinen Urlaub wirklich verdient.«
»In Syrien?«, rief Jung erstaunt. »Wie kann man da Urlaub machen? Das ist ja selbstmörderisch.«
»Ich weiß es nicht. Aber es zieht ihn unwiderstehlich da hin, das spüre ich einfach.«
»Na gut. Gönnen wir ihm seinen Urlaub. Ich bedanke mich für das gute Gespräch, Frau Schirmer. Vielleicht sieht man sich mal.«
»Das wäre wirklich super. Es hat total Spaß gemacht, mit Ihnen zu reden, Herr Doktor. Danke.«
»Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und auf Wiedersehen.«
»Ich danke Ihnen, Herr Doktor. Die Liste gebe ich heute noch in die Post. Vielen Dank noch einmal. Tschüss.«
*
Jung legte den Hörer zurück und atmete aus. Seine plötzliche Promotion musste er erst einmal verdauen. War es eigentlich fair, so mit ihr umzuspringen, fragte er sich? Er hatte sie durch die Manege geführt wie einen Ochsen am Nasenring. Aber sie hatte sich gerne führen lassen. Edle Einfalt und stille Größe waren sicherlich nie ihre Stärken gewesen und wenn doch, dann zu armer Egozentrik und lauter Winzigkeiten zusammengeschrumpft. Mein Gott, man soll seinen Nächsten lieben wie sich selbst, nicht weniger aber auch ja nicht mehr, beruhigte er sich. Außerdem ging es um die Aufklärung eines Verbrechens. Da waren schon mal Mittel erlaubt, die nicht den höchsten moralischen Standards entsprachen.
Er schob seine Gedanken beiseite und gab sich dem Echo hin, das das Gespräch in ihm ausgelöst hatte. Deutlich spürte er, dass er etwas Wichtiges gehört hatte. Er hatte einen Hauch von der Aura der allerengsten Umgebung des Mädchens aufgenommen, einen Geruch, der ihm vielleicht einen Schlüssel zum Verständnis dessen, was passiert war, liefern konnte. Aber noch blieben die Zusammenhänge verschwommen und verwaschen. Warum stritt Immo ab, Kontakt mit der Familie gehabt zu haben? Kannte er das Mädchen? Stand er der Familie nahe, dass er nicht mehr auf sie angesprochen werden wollte? Und wenn das schon so war, warum hatte er dann noch den Sohn in seinem Betrieb ausgebildet? Warum hing das Foto der glücklichen beiden in Immos Sekretariat? Warum hatte sich Immo mit Udo überworfen? Welcher Grund reichte aus, ihn nach so vielen Jahren noch zu verleugnen? Und warum machte er seine Homosexualität nicht öffentlich, und zwar so, dass es auch seine einfältige Sekretärin kapierte?
Das Telefon klingelte. Jung nahm den Hörer ab und meldete sich: »Jung, Polizei-Inspektion Nord.«
»Hallo Tomi. Frohes neues Jahr. Schön, deine Stimme zu hören.«
»Hallo Klaus. Frohes neues Jahr. Wie hast du den großen Schnee überstanden?«, begrüßte Jung seinen Freund Boll überrascht.
»Ich war auf Holnis eingeschneit. Zum Glück hatte ich Vorräte und einen Kaminofen. Und du? Wie ging’s bei dir?«
Jung erzählte ihm
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