Pelte, Reinhard
allerdings unter Kaffeetanten vielleicht belanglos und schnell dem Vergessen überlassen werden durfte, konnte hier ganz ungeahnte Erkenntnisse bringen. Er spürte das einfach, und es weckte in ihm einen beruflichen Eros, der ihn in fiebrige Erregung versetzte.
»Sie haben mein Ehrenwort. Aber warum so geheimnisvoll?«
»Ach, wissen Sie, mein Chef, so gut er sonst auch ist, aber auf dieses Thema reagiert er nur sauer. Ich darf es in seiner Gegenwart nicht mal erwähnen. Dabei ist es so schade um die beiden.«
»Nun machen Sie mich aber neugierig. Von wem reden Sie?«, fragte Jung betont einfühlsam.
»Von seinem Freund Udo. Er ist Pastor auf Föhr und ein wirklich lieber und so guter Mensch. Aber seit Jahren ist es zwischen den beiden aus. Einfach Schluss, aus und für immer vorbei.«
Jung wusste jetzt endgültig, dass er an einem Punkt angekommen war, der seine ganze Konzentration erforderte. Ihm durfte nichts mehr entgehen, auch nicht die kleinste Nuance.
»Wie tragisch«, sagte er tief bedauernd. »Seit wann geht das denn schon?«
»Ich weiß es noch wie heute, glauben Sie mir. Es war ein ganz und gar verflixtes Jahr. Wir hatten einen entsetzlich verregneten Sommer. Einfach nur grässlich und kalt. Dann diese furchtbare Sache mit unserem Biobauern, von dem wir Fleisch und Gemüse bezogen. Seine kleine Tochter wurde Opfer eines Gewaltverbrechers. Entsetzlich, einfach furchtbar. Danach war irgendwie alles anders.«
»Was war anders?«, fragte Jung und bemühte sich, seine Neugier hinter einer nur zu verständlichen Betroffenheit zu verbergen. »Das muss ja katastrophal gewesen sein.«
»Katastrophal, ja, das ist das richtige Wort, Herr Jung. Ich durfte seinen Namen in Gegenwart meines Chefs nicht einmal mehr erwähnen. Davor waren die beiden ein Herz und eine Seele gewesen und fuhren sogar ab und zu gemeinsam mit dem Lieferwagen raus auf den Hof. Meistens kamen die Bauersleute allerdings selbst und lieferten die Bestellungen ab. Nach dem furchtbaren Verbrechen war damit Schluss. Und die Freundschaft der beiden, sie war dann auch irgendwie kaputt.«
»Das muss ja ein wirklich schlimmes Jahr gewesen sein«, sagte Jung verständnisvoll. »Und später? Hat sich das nicht wieder eingerenkt?«
»Nein, leider«, seufzte sie. »Der Chef hat später den Sohn der Bauersleute noch bei uns im Hause ausgebildet. Er hat wirklich ein großes Herz und hat der Familie geholfen, wo er nur konnte. Sie litten ja entsetzlich, weil der Verbrecher, der ihre Tochter auf dem Gewissen hat, nicht gefasst werden konnte.«
»Man mag sich das gar nicht vorstellen, die armen Eltern«, erwiderte Jung betroffen. Er kam sich schlecht vor, weil er ein Mitgefühl heuchelte, das er nur an anderer Stelle aufrichtig empfunden hatte.
»Ja, die armen Eltern. Aber ihr Bub war ein wahrhafter Goldjunge, so stattlich und gut aussehend. Er war lieb und aufmerksam, hilfsbereit und immer freundlich. Ich hätte ihn glatt adoptieren können. Trotzdem, es hat alles nichts genutzt.«
»Was ist passiert? Gab es noch ein Verbrechen?«, fragte Jung vorsichtig.
»Nein, nein. Ich wollte nur sagen, die Familie zerbrach und gab den Hof auf.«
»Oh. Das tut mir aufrichtig leid. Wenn man das hört, sollte man für jeden Tag mit der Familie dankbar sein«, bemerkte Jung verständnisinnig und kam sich tumb und einfältig vor.
»Gut, dass Sie das sagen, Herr Jung. So fühle ich auch. Aber mein lieber Chef leider nicht.«
»Warum? Ich könnte ihn mir durchaus als guten Familienvater vorstellen«, log Jung unbekümmert.
»Er hat nie geheiratet und eine Familie gegründet. Dazu kam er einfach nicht. Er hatte und hat ja auch immer wahnsinnig viel um die Ohren.«
»Obwohl er Sie an seiner Seite hat? Eine so tüchtige Kraft wird er nicht noch einmal finden, denke ich.« Jung fragte sich, ob er nicht etwas zu dick auftrug und sie allmählich merken musste, dass er mit ihr spielte. Aber seine Zweifel verflüchtigten sich rasch.
»Sie haben völlig recht, Herr Doktor Jung. Ich stehe ihm wirklich mit all meiner Kraft zur Seite. Ich tue das gerne für ihn. Ich hatte ihm auch vorgeschlagen, die Gattinnen der Herren mit zu dem Klassentreffen einzuladen. Das fand ich einfach selbstverständlich, wenn man Familie hat«, rief sie entrüstet aus.
»Vielleicht dachte er ja, wir wollten mal unter uns sein«, gab Jung vorsichtig zu bedenken.
»Das hätten Sie ja auch tun können. Wir sind doch keine altmodischen Muttis. Ich hatte mich angeboten, ein Damenprogramm für die
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