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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inselbeichte
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ausführlich, wie er die aufregenden Tage verbracht hatte.
    »Alles wohlauf. Das ist ja die Hauptsache. Hast du Fortschritte im Fall des verschwundenen Mädchens gemacht? Das wäre meine zweite Frage.« Boll schien sich zu langweilen und benutzte die günstige Gelegenheit, sich zu unterhalten.
    »Ja, ich glaube, ich bin auf etwas Wichtiges gestoßen. Wie wär’s, wenn wir uns sehen und darüber reden?«
    »Bei mir draußen, auf Holnis? Das wird schlecht gehen. Du brauchst einen allradbetriebenen Offroader, wenn du bis zu mir durchkommen willst.«
    »Dann komm doch in die Stadt. Du musst doch irgendwie aus deiner arktischen Hölle herauskommen können? Wir gehen irgendwo was essen.«
    »Ich bin schon in der Stadt. Gute Idee. Wo willst du hin?« Boll klang froh, nicht so bald in die weiße Einöde zurückzumüssen.
    »Gehen wir ins Viva? Ich hab Appetit auf mexikanische Küche. Der chilenische Rotwein ist auch ganz passabel«, schlug Jung vor.
    »Gut, dann bis gleich in der Roten Straße. Ich werde da sein.«
    Jung legte den Hörer zurück und blickte aus dem Fenster. Das zusammengeschobene Eis auf dem Wasser und die Schneewehen an den Ufern reflektierten die gleißende Sonne, die von einem arktisch sauberen, blauen Himmel schien. Sie tauchte die Hafenspitze in ein Licht, das Jung so noch nie erlebt hatte. Es verwandelte den Hafen in einen fremdartigen Ort, der eher an die Breiten, hoch oben im Norden erinnerte, wo der Winter sich stets so präsentierte, und wo das alles normal war, was hier sensationelle Ausnahme blieb.
    Jung gab sich einen Ruck und richtete sich in seinem Bürostuhl auf. Er hatte Hunger. Sein Magen knurrte. Der Gedanke an einen kurzen Spaziergang mit anschließendem Essen und Rotwein beschwingte ihn. Er erhob sich entschlossen. Im Treppenhaus begegnete er niemandem, sogar die Wachstube am Ausgang war verwaist. Petersen machte Mittag, wahrscheinlich bei McDonald’s um die Ecke. Andernfalls hätte er an seinem Tresen gesessen, gerade sein Butterbrot ausgepackt und die Thermoskanne aufgeschraubt.
     
    *
     
    Die Rote Straße liegt nicht weit weg von der Polizei-Inspektion. Jung konnte sie leicht in zehn Minuten zu Fuß erreichen. Sein Weg führte ihn durch die Fußgängerzone der Stadt. Der Schnee war nur notdürftig an die Seiten geschoben worden. Die Reste auf dem frei geräumten Gehweg waren mit Sand abgestreut und unter den Tritten der Passanten zu einem schmutzigen Schlamm zerstampft worden. Als er in kurzen Trippelschritten über den Holm in Richtung Südermarkt hüpfte, drang Jung der kalte Brei unangenehm in die Hosenbeine und Schuhe. Er fluchte vor sich hin und sah neidisch auf seine Mitmenschen, die ordentliche Winterstiefel trugen und die schneeige Pampe bei jedem Schritt rücksichtslos in die Gegend verspritzten. Wofür er sonst zehn Minuten brauchte, kostete ihn heute das Doppelte. Als er nach einem halsbrecherischen Parcours über das Kopfsteinpflaster des Südermarktes und der Roten Straße die Tür zum Viva endlich aufstieß, waren seine Socken feucht und seine Füße eiskalt.
    Er hatte Boll schon von der Straße im ersten Stock am Fenster sitzen sehen und eilte die Treppe hinauf, froh seinem Bewegungsdrang ohne Behinderung durch rutschigen Schneematsch nachgehen und seinen Füßen etwas Bewegungswärme verschaffen zu können.
    »Warum habe ich keine gefütterten Stiefel, kannst du mir das mal sagen?«, stöhnte Jung, nachdem er Boll begrüßt hatte.
    »Weil du normalerweise in Flensburg keine brauchst«, antwortete Boll oberlehrerhaft. »Komm, setz dich. Rotwein habe ich schon für dich bestellt.«
    »Danke. Nett von dir.« Jung ließ sich Boll gegenüber auf den Stuhl fallen und sah ihn aufmerksam an.
    »Du musst bei dir da draußen durch die Hölle gegangen sein, oder?«
    »Das kannst du laut sagen. Es war grausam.« Boll verzog schmerzhaft das Gesicht. »Bei Oststurm liegt Holnis sowieso auf dem Präsentierteller, sozusagen in der Einflugschneise von der offenen See her, bevor der Wind sich über die Innenförde und Flensburg hermacht.«
    »Dein Haus steht ziemlich ungeschützt, nicht wahr?«
    »Ja und nein. Es liegt in einer weiten Senke, nach Süden offen. Aber nach Westen steigt das Terrain zum Holnis Kliff an. Das wirkt auf den Ostwind wie ein Tritt in den Hintern.«
    »Aber die Dachpfannen liegen noch?«, lachte Jung.
    »Ja, habe ich wahrscheinlich dem Schnee zu verdanken. Das Haus wehte nach kurzer Zeit bis unter den First ein, jedenfalls an der West- und Nordseite. Nach

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