Pelte, Reinhard
Alltag ein unverhofftes Highlight hinzufügen zu können. Jung gefiel das. Es kam seiner Absicht entgegen.
»Darf ich Sie für einen Moment allein lassen?«, fragte sie, als wenn sie nur eine lästige Etikette einzuhalten hatte. »Ich bin nebenan in der Küche.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, begleite ich Sie«, sagte Jung.
»Aber ich bitte Sie, das ist doch nicht nötig. Machen Sie sich’s bequem. Ich bin gleich zurück.«
»Ich würde Ihnen gerne Gesellschaft leisten. Darf ich?«
»Wenn Sie darauf bestehen, bitte sehr«, erwiderte sie kokett.
Jung folgte ihr an dem riesigen Kachelofen vorbei in die Küche. Er musste sich wieder ducken. Es störte ihn nicht weiter. Die niedrigen Türen passten hierher und waren einer der Gründe für den besonderen Charme des Hauses.
Es war eine große Küche. Abgesehen von der Hinterfront des Kachelofens war sie ernüchternd modern: state of the art, schnörkellos, viel Edelstahl, ansonsten klinisch weiß und ausgestattet mit allen erdenklichen Küchengeräten. Die Handwerker, die die Möbel und Geräte in das alte Gemäuer eingepasst hatten, mussten wirkliche Könner gewesen sein.
Jung sah ihr zu, wie sie Wasser in den Kessel laufen ließ und sich geschickt zu schaffen machte. Sie war schätzungsweise Mitte 40 und um die 1,70 Meter groß: eine Brünette mit ungefärbten, mittellangen Haaren, die sie sorgfältig frisiert hatte und die ihr anmutig über die Ohren und in den Nacken fielen. Sie war schlank aber kräftig, ungefähr 65 bis 70 Kilo, schätzte Jung. Sie trug eine schlichte, weiße Bluse und einen schwarzen, engen Rock, der über ihren Knien endete. Sie hatte die Ärmel bis über die Ellenbogen aufgekrempelt. Unterarme und Beine waren hübsch anzusehen, und Jung fühlte, dass Greta Driefholt sich dessen bewusst war. Ihr haftete nichts Verdruckstes an und auch keine falsche Bescheidenheit. Ihre Lebendigkeit war auffällig, aber nicht übersprudelnd oder störend. Sie strahlte das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der jede Gelegenheit wahrnimmt, sich beweisen zu können. Sie vermittelte die Botschaft: hier bin ich, ich kann etwas und hoffe, dass ich Gelegenheit bekomme, das zeigen zu können.
»Schön haben Sie es hier«, eröffnete Jung lächelnd das Gespräch. »Der Kachelofen ist sicherlich ein Originalstück aus der Zeit, als Kapitän Früd Peters seinen Schoner noch wochenlang um Kap Horn prügelte, oder nicht?«
Sie lächelte ihn freundlich an. »Sie haben recht. Er ist sehr alt.«
»Hoffentlich wärmt er auch so gut wie er aussieht.«
»Alle Besucher sind von dem Haus begeistert. Es hat den Charme der guten, alten Zeit. Doch unsereins sieht das anders. Es ist zugig und es macht viel Arbeit. Aber auf den Einbau der Küche habe ich bestanden. Ich habe Udo, also Pastor Harmsen, mit Kündigung gedroht, falls er meinem Wunsch nicht nachkommen sollte.«
»Und da hat er klein beigegeben, der alte Schwerenöter«, ergänzte Jung.
Sie lachte leise in sich hinein. »Woher kennen Sie ihn eigentlich? Was wollen Sie von Pastor Harmsen?« Sie sah kurz über die Schulter zu Jung.
»Ich bin ein alter Klassenkamerad von ihm. Wir haben zusammen Abitur gemacht.«
»Mein Gott, da wird er sich aber freuen«, rief sie lebhaft. »Leider ist er mit seinen Konfirmanden zu einer Jugendfreizeit in Norwegen.«
»In Norwegen? Warum so weit weg in der kalten Öde des Nordens?«, fragte Jung erstaunt.
»Er liebt die Wildnis, das Schroffe und Herausfordernde.«
»Wann kommt er denn wieder?« Jung ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.
»Kommenden Donnerstag. Solange sind Sie sicherlich nicht auf der Insel. Was machen Sie überhaupt hier?«
»Ich habe Urlaub. Ich wohne in Flensburg und sah den Bericht im Fernsehen über die Schneehochzeit auf Föhr.«
»Aha, und da haben Sie Udo entdeckt, ich meine Pastor Harmsen, ich verstehe.« Sie goss das kochende Wasser in die Teekanne.
»Genau. Ich wusste nicht, dass wir so nahe beieinander wohnen.«
»Und jetzt wollen Sie einfach mal Hallo sagen. Hübsche Idee.« Sie nahm zwei Teetassen und passende Untersetzer aus einem Hängeschrank.
»Ganz so ist es nicht. Ich wollte schon etwas ernsthafter mit ihm reden.«
»Doch nicht etwa über seine Depressionen?« Die Frage rutschte ihr heraus, bevor sie sich bremsen konnte.
»Depressionen? Davon weiß ich nichts.«
»Oh, natürlich. Woher auch.« Sie biss sich auf die Lippen und schüttelte unwirsch den Kopf. Dabei fielen ihr die Locken ins Gesicht. Sie strich sie sich
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