Pelte, Reinhard
des Hauses. Durch eine Tür wie die zum Kaminzimmer betrat Jung diesmal eine ganz andere Welt. Der Flur und das Treppenhaus waren modernisiert worden. Holzdielen, Decken und Wände strahlten in reinem Weiß. Großformatige Fotos mit idyllischen Inselmotiven schmückten die Wände. Hier und da zierten antike Gerätschaften aus Haus und Hof und den alten Segelschiffszeiten das Treppenhaus. Blaue Läufer schmückten die Treppe in den ersten Stock hinauf. Am Ende des Flurs öffnete Greta Driefholt die Tür zu einem geräumigen Zimmer, das ebenfalls in Weiß gehalten war. Den Boden bedeckte ein mauvefarbener Teppichboden. Durch ein breites Gaubenfenster mit Blumengardinen im Laura-Ashley-Stil fiel Licht auf einen hübschen Arbeitsplatz. Tisch und Stuhl waren ähnlich kunstvoll getischlert wie die Stühle in der Kaminstube. Vor einem zweiten Fenster standen zwei schlichte blaue Clubsessel und ein runder Tisch. Unter der Dachschräge war ein flaches Podest aufgebaut, auf dem ein einfaches Doppelbett mit weißen Bettbezügen ruhte. Das Zimmer wirkte ein wenig frostig und steril. Vielleicht lag es daran, dass die Raumdekoration spärlich und zurückhaltend war. Vielleicht lag es auch nur an der herrschenden Kälte.
»Ich drehe zuerst die Heizung auf«, erklärte sie eifrig. »Dann ist es im Nu mollig. Sind Sie Raucher?«
»Nein.«
»Das ist gut. Bei uns im Haus wird nicht geraucht.«
»Ich verstehe.« Jung hätte nie in einem Zimmer geraucht, in dem er später schlafen wollte. Er hatte auch nicht daran gedacht, eine seiner Lieblingszigarren einzustecken.
Danach zeigte sie Jung das Bad. Es war penibel gesäubert. Eine in blau und gelb gehaltene Bordüre schloss den weiß gekachelten Sockel gegen die weiß geschlemmten Wände ab. Die handwerkliche Klasse und die moderne Ausstattung bewunderte er, wie schon zuvor in der Küche.
»Gut. Es gefällt mir. Ich bleibe«, zeigte sich Jung begeistert. Sie lächelte. Kurz darauf schickten sie sich an, wieder nach unten zu gehen.
»Ich schlage vor, Sie holen Ihr Gepäck und richten sich erst einmal ein«, sagte sie auf der Treppe und schaute über die Schulter zu Jung hoch. »Ich muss noch schnell etwas zum Kochen besorgen. Wir sehen uns später, ja?«
»In Ordnung. Ich hole meine Sachen und mach es mir bequem. Ich will meine Frau benachrichtigen.«
»Gut, bis nachher.« Sie verschwand munter durch die Diele in den alten Pastoratstrakt. Udo musste da oben wohnen, dachte Jung. Hatte Greta Driefholt nebenan ein Zimmer? Wo wohnte sie überhaupt? Er schüttelte seine Fragen ab und verschob sie auf später, wenn er mit ihr beim Essen zusammen sitzen würde.
Das Abendessen
Er hatte geduscht und sich in ein weiches Badetuch gehüllt, das er über dem beheizten Handtuchhalter im Bad gefunden hatte. Er war mit sich zufrieden. Er hatte schon jetzt viel Stoff zum Nachdenken, und er rechnete fest damit, dass noch mehr dazukam. Er benachrichtige Svenja, dass er über Nacht auf der Insel bleiben werde, und legte sich für eine kurze Ruhepause aufs Bett.
Das Läuten des Telefons schreckte ihn aus seinem Schlummer. Seine Gastgeberin war am Apparat und bat ihn hinunterzukommen. Sie brauche seine Unterstützung, wenn er so lieb sein wolle. Jung folgte ihrer Bitte gerne. Vorher ging er noch auf die Toilette. Gegenüber des Klos, an der Badezimmertür, hing unter Glas ein kunstvoll gedruckter Kirchentext:
Ihn, Ihn laß tun und walten, / Er ist ein weiser Fürst
und wird sich so verhalten, / daß Du Dich wundern wirst.
Wenn Er, wie’s Ihm gebühret, / mit wunderbarem Rat,
das Werk hinaus geführet, / das Dich bekümmert hat.
Jung hätte den Text an einem Beichtstuhl besser gefunden als vis-à-vis eines Kackstuhls. Die unfreiwillige Komik empfand er als blasphemisch. Wer hatte diesen schlechten Witz zu verantworten? Er schüttelte den Kopf. Dann zog er sich an und ging hinüber in den Pastorentrakt.
Als er die Tür zur Kaminstube öffnete, rief ihm Greta Driefholt aus der Küche freundlich entgegen: »Da sind Sie ja endlich. Wo bleiben Sie denn?«
»Die geistliche Ermahnung an der Badezimmertür hat mich aufgehalten«, erwiderte Jung ironisch und sah in die Küche.
»Udo hat auf den Sprüchen bestanden. Ich finde das blöd. Die Zimmer haben Namen nach bekannten Kirchengrößen. Ihr Zimmer ist nach Paul Gerhard benannt.«
Sie hatte sich umgezogen, trug einen langen, blauen Wollrock und einen langärmeligen grauen Schalpullover aus Kaschmirwolle. Darüber hatte sie eine
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