Pelte, Reinhard
anmutig hinter die Ohren zurück. Die Geste war rührend. Jung glaubte einen Moment, ein junges Mädchen vor sich zu sehen.
»Setzen wir uns in die gute Stube«, sagte sie rasch. Sie hatte das Geschirr, ein Stövchen und die Teekanne auf ein Tablett gegeben und schritt mit energischen Schritten durch die Küchentür in die Stube.
»Welch Zufall, dass Sie den Bericht im Fernsehen verfolgt haben«, sagte sie, während sie auf dem Tisch die gemütliche Teerunde arrangierte.
»Ja, ich hätte ihn fast nicht wiedererkannt. Einer meiner Kameraden erwähnte sein Aussehen, und ich sah genauer hin.«
»Kameraden? Sind Sie bei der Marine?«, fragte sie spöttisch, fuhr aber gleich weiter fort: »Setzen Sie sich doch. Auf der Bank ist es am schönsten. Die Sitzkissen sind übrigens echt föhrisch.«
Er bewunderte pflichtschuldig die Sitzkissen und folgte ihrer Einladung. Sie selbst setzte sich an seine linke Seite auf die Bank vor dem Fenster.
»Nehmen Sie Kluntje {16} in den Tee?«
»Ja, gerne«, antwortete Jung. Er war froh, dass sie nicht weiter auf die Beantwortung ihrer Frage bestand. Er wollte das Klassentreffen auf keinen Fall erwähnen.
»Probieren Sie den Tee und sagen Sie mir, wie er Ihnen schmeckt. Ist er so richtig ? Aber ehrlich, bitte.«
Jung probierte den goldfarbenen Tee und nahm gleich noch einen zweiten Schluck.
»Hervorragend. Wirklich.« Jung musste nicht heucheln. »Das typische, kräftige Aroma. Herrlich. Ihr Wasser muss sehr gut sein. Wie auf der Nachbarinsel.«
»Ja, das Wasser ist das A und O beim Tee. Welche Insel meinen Sie?«
»Sylt. Ich habe dort letztes Jahr ähnlich guten Tee getrunken.« Jung stellte seine Tasse zurück auf den Untersatz.
»Hatten Sie auf Sylt beruflich zu tun?«
Jung zuckte innerlich zusammen. Sein Beruf durfte auf keinen Fall zum Thema werden. Überhaupt, das nette Plaudern brachte ihn in Situationen, die fatal enden konnten, wenn er daran dachte, warum er eigentlich hier war. Er ermahnte sich zu erhöhter Wachsamkeit.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, lenkte er ab.
»Aber ja. Nur zu. Fragen Sie.«
»Vor dem neuen Pastorat, gleich gegenüber der Kirche, las ich, dass Pastor Jeß Gemeindepfarrer ist. Ich dachte, Udo hätte diesen Posten inne.«
»Ja, das stimmt schon. Aber Udo, also Pastor Harmsen, hat sich große Verdienste in der Jugendarbeit erworben. Die nordelbische Kirche hat dann zwei Pastorenstellen genehmigt. Er darf sich seitdem ganz auf seine Lieblinge konzentrieren.«
Ihre Lobeshymne schien Jung etwas verdrießlich vorgebracht. Das Thema hatte sie verstimmt.
»Alle Achtung. Die Kirche stöhnt doch allenthalben über Geldmangel, nicht wahr?«
»Ja, stimmt. Die zweite Stelle ist deshalb eine große Anerkennung für ihn.«
»Für Sie auch, oder? Ich meine, Sie schmeißen den Laden ganz allein. Das Pastorat ist riesig. Was machen Sie überhaupt mit dem vielen Platz?«
Ihr Lachen auf seine Frage klang wie ein unterdrücktes Wehklagen.
»Ich hab schon meine Helfer, so ist es nicht. Aber so viel Personal wie früher, gibt es natürlich nicht mehr.«
»Und die vielen Räume? Wofür werden die gebraucht?«
»Früher mussten die Pastoren mit ihren Händen erarbeiten, was sie und ihre Kirche zum Leben brauchten. Sie hatten Land, das sie bestellten. Dafür hatten sie Gesinde. Das wohnte hier in der Pastorei. Sie brauchten auch Scheuer und Ställe.«
Jung nahm einen Schluck Tee.
»Und jetzt?«, fuhr er fort, nachdem er die Tasse abgesetzt hatte. »Vieh haben Sie doch nicht mehr. Jedenfalls riecht es nicht danach.«
Sie lachte wieder. Dieses Mal klang ihr Lachen fröhlicher.
»Anfangs nutzte Pastor Harmsen die Nebengebäude als eine Art Jugendzentrum. In den Kammern konnten seine Jungs über Nacht bleiben, wenn es nötig war.«
Jung fiel auf, dass Udos Jugendarbeit sich auf die männliche Jugend zu beschränken schien. Oder hatte sie den weiblichen Teil nur vergessen zu erwähnen?
»Wunderbar. Ein Paradies für Groß und Klein. Ich las den Slogan auf der Website von Föhr«, fügte Jung erklärend hinzu.
»Paradies?« Sie lachte wegwerfend. »Wenn ich das schon höre. Das mag für Kids vom Festland zutreffen, die in den Sommerferien gerne im Sand buddeln oder für die eine Fahrradtour mit Mami und Papi das Größte ist. Aber für die meisten, die hier wohnen, ist die Insel eine Strafe, verstehen Sie? Hier ist nichts los, vor allem außerhalb der Saison. Sie sind von allem abgeschlossen. Wenn sie im Fernsehen verfolgen, wie ihre Altersgenossen in den
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