Pelte, Reinhard
Städten auf dem Festland leben, kriegen sie ’nen Koller, kommen auf abwegige Ideen und stellen furchtbare Sachen an.« Sie atmete laut aus, als müsse sie sich von ihrer langen Rede erholen, und schwieg danach.
»Darf ich noch einen Tee haben?« Jung ließ ein paar Kluntje in seine Tasse fallen und reichte sie ihr hinüber. Sie schenkte sich und ihm nach und rührte mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen in ihrer Tasse.
Das Gespräch war unterbrochen, bis Jung nach einer Weile sagte: »Ich verstehe. Udo hat die Jugendlichen eingefangen und beschäftigt, nicht wahr?«
»Ja, das hat er sehr gut gekonnt«, sagte sie nachdenklich. »Die Gemeinde hat ihm auch die alte Dorfschmiede überlassen. Sie ist jetzt seine Werkstatt. Er und seine Jungs basteln, schmieden, hämmern und schweißen da an was weiß ich herum. Sie haben ihren Spaß. Naja, wenigstens bauen sie keinen Mist.«
Jung spürte ihre Verdrießlichkeit und fragte mitfühlend: »Und Sie haben danach den Dreck im Haus. Ist es das, was Sie stört?«
Sie lachte wehmütig.
»Nein, nein«, antwortete sie mit belebter Stimme. »Die kommen mir schon lange nicht mehr ins Haus, über Nacht erst recht nicht.«
»Was ist passiert? Gab es Ärger?«, fragte Jung neugierig.
Sie schwieg. Jung fragte sich, ob sie seine Frage überhaupt gehört hatte. Endlich sagte sie: »Das ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie Ihnen ein anderes Mal. Möchten Sie noch Tee?«
Jung hob abwehrend die Hand. Die Geschichte hätte er gerne gehört. Nach einer Weile richtete sie sich auf.
»Wir vermieten jetzt an Feriengäste.« Ihre Stimme hatte einen neuen Klang angenommen. »Die Zimmer sind alle renoviert und bestens ausgestattet. Ich habe in der Saison alle Hände voll zu tun. Es macht mir Spaß. Ich lerne viele Leute kennen, nette und weniger nette, aber es ist abwechslungsreich und anregend. Es kommt meinem Naturell entgegen. Außerdem bringt es Geld. Und das nicht zu knapp.«
»Aha, deswegen die fantastische Küche. Sie bereiten auch das Frühstück, oder?«
»Sie sind ein scharfsinniger Beobachter, Herr Jung. Muss ich mich vor Ihnen fürchten?« Sie redete so, als wolle sie einen unschuldigen Flirt beginnen.
»Wenn Sie wüssten, wie harmlos ich im Grunde bin, würden Sie sofort jedes Interesse an mir verlieren«, spielte Jung mit. »Ich glaube, meine Frau hat das auch schon erkannt. Meine Harmlosigkeit ist wahrscheinlich nur noch von Pastor Harmsen zu überbieten.«
»Sie sind verheiratet? Wie schön für Sie. Haben Sie Kinder?«
»Ja, verheiratet seit über 20 Jahren. Zwei Kinder. Und Sie? Haben Sie einen Mann, mit dem Sie verheiratet sind?«
»Nein«, sagte sie schlicht.
Jung wartete gespannt. Sie war in einem Alter, in dem Frauen, wenn sie ihre Ehelosigkeit offenbaren, automatisch eine Erklärung anfügen. Sie aber schwieg wie eine junge Frau der Rucksackgeneration, bei denen Fragen nach Ehestand und Kindern nur Kopfschütteln auslösten.
»Kennen Sie Udo eigentlich gut?«, fragte sie ernsthaft neugierig. »Erzählen Sie, wie war er in der Schule?«
Das tiefe Schlagen einer Standuhr unterbrach ihr Gespräch. Die gewaltige Uhr stand an der Türseite, und Jung sah sie jetzt zum ersten Mal bewusst an. Sie schien so alt wie die Deckenbalken, die er schon vorher bewundert hatte.
»Es ist spät geworden. Um 18 Uhr geht die letzte Fähre. Sie müssen sich allmählich auf die Socken machen«, sagte Greta Driefholt zu Jung gewandt.
»Ich wollte eigentlich noch etwas essen gehen«, erwiderte Jung. »Ich habe seit heute Morgen nichts gehabt. Auf der Herfahrt entdeckte ich in Nieblum ein italienisches Restaurant. Es sah einladend aus. Ich überlege, ob ich die Nacht nicht auf der Insel bleibe. Ich habe alles dabei. Können Sie mir ein Hotel empfehlen?«
»Landhaus Laura, in Oevenum. Da sind Sie auf der Insel am besten aufgehoben. Aber die haben jetzt Winterpause. Warum bleiben Sie nicht hier? Sie können eines von unseren Fremdenzimmern haben, und ich koche uns was Schönes zu Abend. Ich koche gut. Mindestens so gut wie der Koch im La Gondola.« Sie lachte erfrischend und sah Jung aufmunternd in die Augen.
»Erzählen Sie mir dann auch ein paar nette Döntjes {17} von der Insel?«, fragte er schmunzelnd. Jung hatte sich schon entschieden zu bleiben, bevor er es laut gesagte hatte. Und sie merkte das.
»Ich zeige Ihnen unser bestes Zimmer. Das wird Sie endgültig überzeugen.«
Sie standen auf und gingen durch die Eingangsdiele in den anderen Flügel
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