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Pelte, Reinhard

Pelte, Reinhard

Titel: Pelte, Reinhard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inselbeichte
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nach Süderende.
    Er sah nicht viel von der Insel. Der Schnee deckte sie zu. Die Sicht war nach wie vor miserabel. Es begann langsam zu tauen. Erst hinter Borgsum lichtete sich der Nebel etwas und gestattete einen Blick auf die Äcker und Weiden, die sich rechts und links platt wie Betttücher ausbreiteten. Ein paar dicke Schafe standen an den Straßengräben und kauten vor sich hin. Ihre kleinen Köpfe lugten aus ihrer dicken Wolle wie Stricknadelköpfe.
    Als Jung nach ein paar Kilometern rechts nach Süderende abbog, meinte er, am Ende der Welt angekommen zu sein. Nach wenigen 100 Metern sah er die Kirche. Aus einem Wäldchen erhob sich der Turm von St. Laurentii: ein Monolith aus Backstein, schnörkellos, glatt, fast brutal und gedeckelt von einem flachen, stumpfen Zinkdach. Über dem Turm wehte, in auffälligem Kontrast zu der trotzigen Klobigkeit des Turms, eine fein ziselierte, vergoldete Wetterfahne. Aus dem gefiederten Windblatt war ein altes Segelschiff kunstvoll herausgestanzt worden.
    Jung stellte sein Auto auf dem gegenüber der Kirche liegenden Parkplatz neben dem Werkstattwagen einer Dachdeckerfirma aus Alkersum ab. Die Kirche stand ziemlich isoliert in der Landschaft, umgeben von einem weiträumigen Friedhof mit angrenzendem Wäldchen und weitab vom Dorf. Gegenüber, jenseits der Straße, lag das Pastorat. Es war neueren Datums, vielleicht vor 10 bis 20 Jahren erbaut. An ihm war nichts auffällig außer einem Schaukasten davor. Er machte auf eine ›Arbeitsgemeinschaft Sonne‹ aufmerksam, gefördert mit Mitteln der Europäischen Gemeinschaft und unterstützt von der Kirchengemeinde. Jung las mit einiger Verwunderung, dass Pastor Dirk Jeß am Dienstag bis Donnerstag zwischen 9 und 11 Uhr zu erreichen sei. Jung war sich jedoch absolut sicher, dass Udo, sein alter Klassenkamerad, Pastor der St. Laurentii-Gemeinde war.
    Jung entdeckte ein paar Dachdecker auf dem Kirchdach. Sie besserten die Bleibänder zwischen Zinkdach und Mauerwerk aus. Er überquerte die Straße und betrat den Kirchhof durch ein weißes Friesengatter. Er schritt auf einem Kiesweg durch ein altes Gräberfeld, dessen Steine wie Findlinge auf dem Gottesacker standen. An der Außenwand des Kirchenschiffs lehnte eine lange Leiter. Am Fuße wachte ein Handwerker. Jung fragte ihn, ob er Pastor Udo Harmsen kenne.
    »Jau, he is uns Jugendpaster. He livt in de olle Pastorei, mitten ins Dörp. Kannst ga nich dran vorbi.«
    Jung bedankte sich. Auf dem Weg zurück über den Friedhof fiel sein Blick auf die Frontseiten der Grabsteine. Einige Steine zierten farbige Segelschiffreliefs. Die kunstvollen Arbeiten erregten seine Aufmerksamkeit. Die Schiffe führten ausnahmslos den dänischen Danebrog in der Takelage. Bei näherem Hinschauen las er Namen, die er vorher noch nie gehört hatte. Die Kapitäne mit Vornamen Rickmer und Früd waren nach langen Jahren auf See in ihrer Heimat auf Föhr als Landwirte gestorben. Früds Gattin hatte den Vornamen Sitzele und starb sechs Jahre nach ihm.
    Er verließ den Kirchhof durch das weiße Gatter, ging zurück zum Parkplatz und setzte sich hinter das Steuer. Nach Süderende war noch ein knapper Kilometer zu fahren.

Die Haushälterin
    Wie der Mann gesagt hatte, war das alte Pastorat nicht zu übersehen. Jung war von der Größe des alten Hauses überrascht. Eigentlich waren es zwei Häuser: Ein Haupthaus mit mächtigem Friesengiebel und, etwas versetzt, ein angebautes Nebenhaus gleicher Höhe und fast gleicher Länge. In das alte Mauerwerk zur Straße waren nachträglich eine Reihe moderner Kassettenfenster eingesetzt worden. Sie waren ursprünglich in Anzahl und Größe sicherlich nicht so konzipiert gewesen. Aber unter dem ungeheuer hohen Reetdach und neben dem breiten, hohen Friesengiebel fiel der Stilbruch nicht weiter auf. Den Zutritt zum Haus versperrte eine mächtige Rundbogentür, deren kunstvoller Anstrich in freundlichem Grau und Blau gehalten war. Darüber war die Jahreszahl 1762 in das Mauerwerk eingelassen. Der Schnee auf dem Dach fing langsam an zu tauen. Das ablaufende Tauwasser war unter der Traufe zu langen Eisbärten gefroren. Sie tropften still vor sich hin und hinterließen tiefe Löcher im hohen Schnee.
    Es gab keine Klingel aber einen gewaltigen Türklopfer aus massivem Messing. Jung stieg die zwei Stufen zur Tür hinauf, fasste den Löwenkopf an der Ringunterseite und schlug ihn auf das Klopfbrett. Es dauerte einige Sekunden, bis die Tür weit geöffnet wurde. Vor ihm stand eine stattliche

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