Pelte, Reinhard
Küchenschürze gebunden. Ihr Haar war sorgfältig frisiert. Sie war weder geschminkt noch hatte sie ihre Lippen angemalt. Die fehlende Schminke stand ihr gut. Sie blickte ihm entgegen, als er sich durch die Tür duckte.
»Und die anderen Zimmer, wie heißen die?«
»Luther, Bach, Melanchthon, Calvin und so weiter. Ich habe mich dagegen gesträubt. Vergeblich. Ich gebe zu, viele unserer Gäste mögen das.« Sie zuckte resignierend mit den Schultern.
»Es ist keine Frau dabei«, bemerkte Jung trocken.
»Kennen Sie eine bekannte Kirchenfrau?«
»Mutter Theresa, Hildegard von Bingen oder vielleicht Greta Driefholt?«, antwortete er mit leisem Spott in der Stimme.
»Die Erste ist von der falschen Fakultät. Das gilt nicht. Die letzte ist keine Kirchenfrau und schon gar nicht bekannt«, lachte sie.
»Ziemlich engstirnig, nicht wahr?«
»Ja, schon. Ich habe darauf keinen Einfluss. Aber bei der Innenausstattung habe ich mich durchgesetzt. Die triste Öde war nicht länger zu ertragen.« Sie wandte sich ihrem Herd zu. Sie war dabei, fein gewürfelten, durchwachsenen und schon ausgelassenen Speck in eine Kasserolle zu geben, in der eine giftrote Sauce vor sich hin köchelte. Jung stieg der würzige Duft in die Nase und weckte seinen Appetit.
»Was kochen Sie uns denn Schönes?«, fragte er aufgeräumt.
»Wenn ich vorher gewusst hätte, dass Sie kommen, hätte ich etwas Besonderes vorbereitet. Ich koche leidenschaftlich gerne. Aber auch so hab ich etwas Köstliches im Topf. Sie werden sehen. Es macht mir Spaß, am Herd zu improvisieren.«
»Was improvisieren Sie denn? Nun mal raus mit der Sprache.« Jung sah ihr über die Schulter. Sie duftete dezent nach einem frischen Parfüm, das ihm unbekannt war.
»Das ist die Sauce zu den Tajarin, eine Spezialität aus dem Piemont. Es ist eine der wenigen Nudelspezialitäten aus Italien, die mit Eiern hergestellt wird«, sagte sie stolz.
»Und die Sauce?« Jungs Neugier wuchs.
»Ganz einfach. Geriebene Zwiebel und Knoblauch in Olivenöl goldbraun werden lassen. Dazu ein Liter passierte Tomaten solange eindicken lassen, bis die Sauce fast steht, dazu eine Handvoll Kräuter, am besten frisch, dann drei bis vier Esslöffel scharf angebratener Speck oder sehr fein gehackte Cabanossi.«
»Das ist nicht alles. Sie verschweigen mir etwas. Was ist mit den Gewürzen?«
»Ihr Scharfsinn ist mir schon vorhin unangenehm aufgefallen«, lachte sie. »Der Clou sind die Gewürze, da haben Sie recht. Aber die Zutaten müssen natürlich wirklich gut sein. Ich kenne eine Firma in Italien, Fratelli Carli. Kann ich wärmstens empfehlen. Sie beliefert übrigens auch den Vatikan.«
»Was sagt Udo dazu? Mag er essen, was der Konkurrenz schmeckt?«
»Er merkt das gar nicht. Es wäre ihm auch egal, glaube ich«, erwiderte sie abschätzig.
»Aber die Gewürze.« Jungs Enthusiasmus kehrte wieder. »Also, was ist damit?«, drängelte er, als ob kochen seine große Leidenschaft sei.
»Okay. Die Sauce steht und fällt mit dem Pfeffer. Er muss schon die Schärfe ›mother in law hellfire‹ {18} haben, besser ist ›mother in law exterminator‹ {19} .«
Jung lachte und sagte: »Soll ich dabei helfen?«
»Nein, das ist meine Sache. Aber der Wein. Können Sie einen passenden aussuchen? Sie sehen so aus, als verstünden Sie etwas davon.«
Jung fühlte sich gleichermaßen ertappt wie geschmeichelt. Er sah mit Freude, wie die Atmosphäre immer lockerer wurde.
»Bevor ich den Wein aussuche: Gibt es Antipasti?«, fragte er nonchalant.
»Ja. Cuori Di Carciofo, Pomodori Secchi, Peperoncini Farciti al Tonno, weißen Thunfisch, schwarze Oliven und Parisien mit Feta. Alles sehr, sehr pikant«, erklärte sie.
»Sie mögen es scharf«, stellte Jung trocken fest. »Wo finde ich den Wein?«
»Im Weinkeller. Er stammt noch von unseren Vorgängern. Udo trinkt keinen Alkohol.« Sie sah ihn mit einem verschwörerischen Lächeln an, und Jung kam sich vor wie der heimliche Liebhaber einer frustrierten Pastorenfrau. »Der Keller ist fast so unberührt wie an meinem ersten Tag«, fügte sie hinzu.
»Und wann war Ihr erster Tag? Das muss ich wissen. Wein hält bekanntlich nicht ewig, jedenfalls der Großteil.«
»Vor rund 20 Jahren. Hilft Ihnen das?«
»Gut, dann wollen wir mal sehen. Wie komme ich in den Keller?«
Sie erklärte ihm, wo er die Luke zum Keller finden konnte. Als er im Weinkeller stand und die Regale durchging, nahm seine Bewunderung von Minute zu Minute zu. Die Herren Pastoren hatten einen
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