Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
ist keine Trockenblume, die er in seinem Biedermeierzimmer
liebevoll ausstellen wird. Endlich begreife ich, weshalb mir in mancher
Sommernacht der Geruch von verbranntem Gummi in die Nase gestiegen war. Ich
hatte geglaubt, die Duftstoffe von irgendwelchen Güllezusätzen hätten sich
durch die Ritzen meines leider immer noch ziemlich baufälligen Hauses
gestohlen. Auf Marihuana bin ich nie gekommen.
Eine Hand krallt sich in meine Schulter.
»Das ist doch …«
»… Hein«, sage ich zu Hans-Peter und bürste seine Hand fort. »Darf
ich vorstellen: mein alter Freund Hans-Peter Kellenhusen aus Berlin. Hein
Mertes, mein neuer Freund aus der Eifel, der Trockenblumenmeister von der
Kehr.«
Hein macht keine Anstalten, dem ihm Unbekannten die Hand zu reichen.
Unter dem schneeglöckchenweißen Schopf ist sein Gesicht knallrot geworden. Am
liebsten hätte ich ihm eine gepfeffert. Da geht bei mir ein belgischer Polizist
ein und aus, und er erdreistet sich, an meiner Hauswand auf belgischem Gebiet
eine Hanfplantage anzulegen! Wie konnte mir das nur entgehen! Jetzt rächt es
sich, dass ich keinen überflüssigen Schritt tue, nicht einmal um mein eigenes
Haus herum. Eine diffuse Ahnung steigt in mir auf. Droht mir etwa die Kontrolle
über mein friedliches Dasein auf der Kehr zu entgleiten? Das darf und werde ich
nicht zulassen; dafür habe ich zu hart für ein Leben ohne Stress gekämpft.
»Koreanischer Bergahorn«, murmelt Hein, »ein erprobtes Mittel gegen
Durchfall und Schlafstörungen.«
»Das ist strafbar«, tönt der Berliner Politikbeamte.
»Wir sind hier in Belgien; Be-NE-lux«, schnauze ich ihn mit
besonderer Betonung der mittleren Silbe an. »Selbst dir sollte bekannt sein,
dass da andere Gesetze gelten.« Wenn ich auf Hein sauer bin, heißt das noch
lange nicht, dass ein Außenstehender meinem Eifeler Freund juristische Vorhaltungen
machen darf. Hier halten wir zusammen und regeln gewisse Abweichungen von der
Norm untereinander.
»Mir ist bekannt, dass entgegen allgemein verbreiteter Ansicht sogar
in den Niederlanden der Anbau dieser Pflanze aus gutem Grund verboten ist«,
gibt er pikiert zurück. »Und der Verkauf des getrockneten Produkts ist dort
ebenfalls gesetzeswidrig und wird nur geduldet. Und das auch nicht mehr lange.
Weil sich nämlich die Belgier über ihre Drogentoten
beschwert haben.«
Drogentote. Du meine Güte. Heins Spezialteemischung für seine
Schwiegermutter. Die jetzt tot ist. Ich mühe mich, Ordnung in meine
durcheinanderwirbelnden Gedanken, Verdächtigungen und Vermutungen zu bekommen.
Nur eine Eingebung bleibt hängen: An Marihuana stirbt man normalerweise nicht.
»Hein«, sage ich leise, ohne Hans-Peter einer Erwiderung zu
würdigen, »es ist etwas passiert. Im Wald. Mutter Agnes ist …«
Hein lässt das Gewächs fallen. Hans-Peter tritt näher, beugt sich zu
dem Grünzeug runter, reißt ein Blatt ab, zerreibt es zwischen den Fingern und
hält es sich an die bereits gerümpfte Nase.
Tot? , formulieren Heins Lippen sprachlos.
Ich mustere ihn genauer. Seine Augen sehen für das Wörtchen Wald nicht
überrascht genug aus. Aber vielleicht ist das Unwahrscheinliche durch die
Wahrnehmung des schon lange Erwarteten noch gar nicht richtig bei ihm angekommen.
Ich nicke. »Die Polizei ist schon da.«
»Wieso denn Polizei?«, fragt Hein stotternd. Statt zu fragen, wo die Polizei denn sei, sich gewissermaßen zu vergewissern,
dass er eben richtig gehört hat.
»Du wusstest Bescheid«, flüstere ich. »Hast du sie etwa auf ihr
Kissen im Grünen gebettet?«
»Wo ist Jupp?«
»Bei seiner Mutter. Und Marcel. Im WALD!«
»Wieso im Wald?«
Kommt ein bisschen spät.
Im Gegensatz zu Gudrun; plötzlich springt die mit dem Kind im Arm
herbei und faucht: »Du und deine Kräuter!«
»Wieso ich?«, frage ich verwirrt und starre auf den Hanf
schnuppernden Berliner. Sind jetzt etwa alle von Sinnen?
»Diese kahle Esotante aus Krewinkel! Die war eben im Restaurant, für
dir diese verdammten Kräuter zu bringen. Stell dir vor, fast hätte sie Vinzenz
entführt! Ich konnte sie gerade noch abhalten, das Kind mitzuholen!«
»Vinzenz?«
»Um Gottes willen!«
Hans-Peter vergisst seine Antidrogenkampagne, starrt Gudrun entsetzt
an und scheint mit sich zu ringen, ob er ihr den Säugling entreißen oder sie
aus lauter Dankbarkeit mitsamt Kind umarmen soll. Auf den Zehenspitzen wippt Gudrun
förmlich auf ihn zu. Den Wunsch nach einer Umarmung, nach einer Anerkennung
ihrer Heldentat erfüllt er ihr nicht.
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