Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Aufgaben«, informiert
er mich lächelnd. »Ich mache das übrigens gern, weil mich da jeder ansprechen
kann und sich im Vorfeld schon manches Problem lösen lässt, so ganz nebenbei
und unbürokratisch. Menschlicher, eben. Auf die Socken …«, er zieht die Beine
unter dem Tisch hervor und die Hosenbeine hoch. Den winzigen Hauch helleren
Blaus am linken Strumpf hätte Cora vom Auto aus nicht erkennen können. Also ist
er wenigstens mit sauberen Socken bei mir aufgetaucht.
»… hat mich niemand drauf angesprochen«, fährt er fort, »dafür aber
ein kleines Mädchen auf häusliche Gewalt in ihrer Familie. Ich bin dann später
dahin gefahren und habe mit der Mutter gesprochen und sie verwarnt.«
»Wieso die Mutter?«, fragt Cora verwundert.
»Weil die ihren Mann geschlagen hat«, antwortet Marcel. »Kommt
häufiger vor, als man glauben mag. Zur Polizei wäre das Kind nicht gegangen,
aber zu dem freundlichen Schulwegsicherer hat es Vertrauen gefasst.«
Während er sich mit Cora am Küchentisch über die Körperkräfte schwer
arbeitender Eifelerinnen und die Vorteile der nichtrepressiven bürgernahen
belgischen Polizei unterhält, stelle ich die Kräuter in die Karaffe und weiche
einen Schwung Printen in Portwein ein. Wie wenig ich doch von diesem Mann weiß!
Mein Leben spielt sich auf der Kehr ab, und Marcel gehört dazu, wenn er
herkommt. Sein Alltag im Königreich nebenan ist mir völlig fremd. Gut, sein
Büro habe ich zwangsläufig einmal aufsuchen müssen, aber ich habe immer noch
keine Ahnung, wo er wohnt und wie er lebt. Das ist eigentlich viel
interessanter, als zu wissen, wo seine Kneipe einst stand.
Warum hat er mich noch nie zu sich eingeladen? Warum habe ich ihn
nie von mir aus aufgesucht? Wo wir doch schon seit fast anderthalb Jahren
befreundet sind! Es liegt wohl an mir. Hans-Peter kannte ich vierzehn Jahre
lang, habe aber aus nachvollziehbaren Gründen seine Behausung und sein privates
Umfeld ebenfalls nie kennengelernt.
Vielleicht ist es mein Schicksal, mit Leuten befreundet zu sein, die
für mich nur in meinem kleinen Radius existieren. In meinem alten Leben als
Moderedakteurin in Berlin hatte ich überhaupt keine Freunde. Meine knapp
bemessene Freizeit musste ich ja für Hans-Peter freihalten, fand ich damals. In
Wirklichkeit aber war ich wohl schlichtweg zu träge, mich um andere Menschen zu
bemühen, und hatte es mir in meinem Dasein als heimliche Geliebte bequem und
kulinarisch erfreulich eingerichtet. Hier in der Eifel habe ich Freunde
gefunden. Die ich unter dramatischen Umständen kennengelernt habe und deren
Schicksal mit meinem verwoben ist, da wir alle, bis auf Marcel, unsere Zukunft
dem Erfolg der Einkehr verschrieben haben.
Ein wenig schäme ich mich jetzt schon für meine abfällige Bemerkung
über Marcels Rolle als Verkehrspolizist. Er ist eben ein »Allroundbulle«, wie
Cora gerade anerkennend bemerkt.
»Und edlen Pfeifentabak schätzt du auch«, sagt sie und deutet auf
eine blaue Tabakdose, die ich zuvor noch nie auf meiner Anrichte in der Kehr,
wohl aber früher in meiner Berliner Wohnung gesehen habe.
»Ich bevorzuge Zigarillos«, sagt Marcel und zündet sich einen an.
Coras Worte erinnern mich an eine weitere Hinterlassenschaft von
Hans-Peter.
»Du hast Gudrun heute ganz schön erschreckt«, sage ich, »als du
angeblich das Baby entführen wolltest. Was ist denn da passiert?«
Cora wird blass, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Ich habe es nur hochgehoben und geküsst«, flüstert sie heiser.
»Entschuldige bitte, das war vielleicht nicht recht, aber es hat mich erinnert …, nein«, sagt sie bestimmt und setzt sich aufrecht hin, »darüber kann ich
jetzt nicht reden; das ist einfach zu schmerzlich. Vielleicht ein andermal.
Jedenfalls hatte ich keinesfalls vor, das Kind zu entführen.« Ein winziges
Lächeln zeigt sich in ihrem Mundwinkel, als sie den Schnuller auf dem Tisch
ergreift und sorgsam das Minzblatt abwischt. »Kocht das Ding bitte aus, bevor
ihr es ihm wieder in den Mund steckt«, sagt sie sachlich und fragt: »Wo ist er
denn jetzt, der süße Kleine?«
»Bei seinem Vater«, sagt Marcel trocken.
»Großvater«, berichtige ich. »Und bei dessen neuester Eroberung im
Bett nebenan.«
Marcel wirft mir einen strafenden Blick zu. Er hasst alles, was mit
Klatsch und übler Nachrede zu tun hat. Auch wenn es sein Job ist, Letztere
gelegentlich auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.
»Ein vitaler Uraltbock?«, fragt Cora mit sichtlich
Weitere Kostenlose Bücher