Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
vermutlich auf jenen George warteten, von dem Mrs. Wisher am Telefon gesprochen hatte und der nun jeden Augenblick erscheinen konnte.
Smithback räusperte sich. »Mrs. Wisher, zunächst möchte ich Ihnen mein tief empfundenes Beileid zum Tod Ihrer Tochter aussprechen«, sagte er.
Während er sprach, bemerkte er zu seinem eigenen Erstaunen, daß er seine Worte tatsächlich ernst meinte.
Der Anblick dieses eleganten Raumes und die Erkenntnis, wie wenig all der Wohlstand angesichts einer wirklichen Tragödie bedeutete, machten ihm mit einemmal überdeutlich, welchen Verlust die Frau vor ihm erlitten hatte.
Mrs. Wisher hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah ihn mit ruhigem Blick an. Smithback glaubte, ein kaum wahrnehmbares Nicken ihres Kopfes zu sehen, war sich in dem trüben Licht jedoch nicht sicher. Dann wollen wir mal, dachte er und drückte auf den Aufnahmeknopf seines Diktiergeräts.
»Schalten Sie das Tonband wieder aus«, sagte Mrs. Wisher mit leiser, nur leicht gestreßt klingender Stimme, die eine bemerkenswerte Autorität ausstrahlte.
Smithback zog die Hand ruckartig aus der Tasche. »Tut mir leid.«
»Wären Sie vielleicht so freundlich, das Gerät aus Ihrer Tasche zu nehmen und hier auf den Tisch zu legen? Dann kann ich mich selbst davon überzeugen, ob es auch wirklich ausgeschaltet ist«
»Aber natürlich«, stammelte Smithback und zog das Gerät aus dem Jackett.
»Haben Sie denn gar keinen Anstand?« flüsterte Mrs. Wisher.
Während Smithback das Diktiergerät auf den Couchtisch legte, brannten ihm die Ohren vor Scham.
»Wie können Sie mir nur Ihr Beileid aussprechen und gleich darauf dieses widerliche Ding da einschalten?
Und Sie habe ich auch noch in meine Wohnung eingeladen!«
Smithback rutschte unbehaglich in seinem Stuhl herum und vermied es, der Frau in die Augen zu schauen.
»Es tut mir leid«, murmelte er. »Das ... das ist nun mal mein Job.« Die Worte kamen ihm selbst merkwürdig vor.
»Und ich habe kürzlich mein einziges Kind verloren. Auf wen, glauben Sie, sollte man in so einem Fall mehr Rücksicht nehmen?«
Smithback schwieg und zwang sich, Mrs, Wisher in die Augen zu schauen. Sie saß noch immer mit gefalteten Händen unbeweglich auf ihrem Sofa und sah Smithback unverwandt an. Die Intensität ihres Blickes hatte einen merkwürdigen Effekt auf Smithback. Das Gefühl war so ungewohnt für ihn, daß er es fast nicht akzeptiert hätte. Zum erstenmal in seiner journalistischen Karriere war ihm etwas zutiefst peinlich. Mehr noch, er schämte sich für das, was er getan hatte. Wenn er sich zu der Frau mit allen Mitteln durchgekämpft hätte, wäre es vielleicht etwas anderes gewesen. Aber sie hatte ihn freiwillig zu sich heraufgebeten, und er hatte ihre Trauer ausgenutzt ... Auf einmal war das Hochgefühl, das er sonst immer bei einer großen Geschichte empfand, völlig verflogen.
Mrs. Wisher hob eine Hand und deutete mit einer sanften Bewegung auf ein kleines Tischchen neben ihrem Sofa.
»Ich nehme an, Sie sind der Mr. Smithback, der für dieses Blatt hier schreibt.«
Als Smithback auf dem Tischchen die neueste Ausgabe der New York Post entdeckte, sank ihm das Herz in die Hose.
»Ja«, gab er kleinlaut zu.
Mrs. Wisher faltete wieder die Hände. »Ich wollte mich nur vergewissern. Und jetzt teilen Sie mir bitte diese wichtige Information über den Tod meiner Tochter mit. Oder halt, besser doch nicht. Vermutlich war das ohnehin nur ein Vorwand, um sich hier einzuschleichen.«
Smithback schwieg und hoffte fast, daß der für elf Uhr angekündigte George endlich erscheinen würde. Alles wäre ihm jetzt recht gewesen, um der Gegenwart dieser Frau zu entfliehen.
»Wie schaffen Sie es nur?« fragte Mrs. Wisher nach einer langen Pause.
»Wie schaffe ich was?«
»Wie erfinden Sie all diesen fürchterlichen Mist? Genügt es denn nicht, daß meine Tochter ermordet wurde?
Müssen da auch noch Schmierfinken wie Sie ihr Andenken besudeln?«
Smithback schluckte schwer. »Mrs. Wisher, ich ...«
»Wenn man diesen Dreck hier liest, dann möchte man meinen, meine Pamela sei nichts weiter gewesen als ein selbstsüchtiges Society-Häschen, um das es nicht weiter schade ist. Sie schreiben so, daß Ihre Leser Schadenfreude über ihren Tod empfinden. Warum tun Sie das?«
»Mrs. Wisher, die Menschen in dieser Stadt nehmen etwas erst dann wahr, wenn man es ihnen um die Ohren haut«, begann Smithback, hielt aber inne, als er bemerkte, daß Mrs. Wisher ihm seine Rechtfertigung
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