Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
das Loch, legte einen Sitzgurt aus Nylongewebe an und hängte ihn mittels eines mit einer mechanischen Bremse versehenen Karabinerhakens an das Seil.
Dann stieg er in den Schacht und glitt an dem Seil entlang rasch nach unten.
Als er nachgiebigen, weichen Boden unter den Füßen spürte, hakte er sich aus und verstaute den Gurt wieder in seinem Anzug. Dann sah er sich mit Hilfe seiner Nachtsichtbrille um.
Er befand sich in einem langen Tunnel mit glatten Wänden.
Der Schlamm am Boden war etwa zehn Zentimeter tief und so dick und zäh wie Schmierfett Pendergast studierte die Karte auf dem Innenfutter seiner Anzugjacke. Wenn sie stimmte, dann befand er sich in einem Servicetunnel, der parallel neben der privaten U-Bahn-Linie verlief, die sich die Millionäre der Stadt vor fast einem Jahrhundert hatten bauen lassen. In etwa vierhundert Metern mühte er eigentlich auf den Kristallpavillion stoßen, einen luxuriösen Wartesaal tief unter dem längst vergessenen Knickerbocker Hotel, das früher einmal an der Ecke Fifth Avenue und Central Park South gestanden hatte.
Der Kristallpavillon war laut Al Diamond der größte Wartesaal der Linie gewesen, größer noch als seine Pendants unter dem Waldorf Astoria Hotel und den reichen Anwesen in der Fifth Avenue. Wenn es im Dachboden des Teufels überhaupt einen zentralen Punkt gab, dann war das ohne Zweifel eben dieser Kristallpavillon.
Vorsichtig arbeitete sich Pendergast den Tunnel entlang. Obwohl ihm von dem fauligen Geruch fast schwindelig wurde, sog er von Zeit zu Zeit die Luft durch die Nase ein und prüfte sie auf einen bestimmten ziegenartigen Gestank, den er zum erstenmal vor achtzehn Monaten im Keller des Museums wahrgenommen hatte.
Vom Geruch her deutete nichts daraufhin, daß sich in dem Tunnel andere Lebewesen außer ihm aufhielten, aber als Pendergast zu Boden sah, durchfuhr ihn plötzlich ein eisiger Schreck: Im Schlamm entdeckte er die Abdrücke von nackten Füßen, die offenbar ganz frisch waren und in dieselbe Richtung führten, die auch er gewählt hatte.
Pendergast nahm ein paar tiefe Züge Sauerstoff aus seinem Mundstück und ging in die Hocke, um die Spuren zu untersuchen. Auf den ersten Blick sahen sie wie die Abdrücke etwas breiterer menschlicher Füße aus, aber dann bemerkte er, daß die Zehen in lange, krallenartig spitze Fortsätze ausliefen und durch Schwimmhäute miteinander verbunden waren.
Pendergast richtete sich auf. Wenn ihn nicht alles täuschte, war er auf die Fußspuren der sagenumwobenen Wrinkler gestoßen.
Der FBI-Agent blieb einen Augenblick stehen und gönnte sich noch eine Lunge voll Sauerstoff, bevor er mit gezogener Waffe den Fußspuren bis zu dem Punkt folgte, an dem der Servicestollen auf den U-Bahn-Tunnel stieß.
Hier mündeten die Fußspuren in einen offenbar viel begangenen Trampelpfad, der in der Mitte der Gleise entlangführte.
Pendergast bückte sich und untersuchte den Weg: viele verschiedene Abdrücke nackter Füße und nur wenige Schuhsohlen. Manche der Füße waren extrem breit und erinnerten Pendergast an das Blatt eines Spatens, andere wiederum wirkten vollkommen normal.
Nachdem er sich noch einmal gründlich umgesehen hatte, ging Pendergast weiter. Sein Weg führte ihn an mehreren Seitentunnels vorbei, aus denen heraus weitere Pfade auf den Hauptgang stießen. Pendergast erinnerte dieses Geflecht an die vielen schmalen Pfade, wie er sie bei der Jagd in Botswana und Namibia kennengelernt hatte; unzählige Tiere hatten auf ihrem Anmarsch zu den Wasserstellen oder zu ihrem Bau getrampelt.
Vor sich sah Pendergast nun einen langen, vom Schlamm unzähliger unterirdischer Fluten überkrusteten Bahnsteig auftauchen. Über eine Treppe am Ende des Perrons stieg Pendergast von den Gleisen hinauf in den Bahnhof. Wenn Al Diamond recht hatte, dann mußte gleich hinter dem Bahnsteig der Kristallpavillon liegen.
Vorsichtig tastete sich Pendergast durch die Dunkelheit, während auf den Monitoren seiner Nachtsichtbrille nach und nach eine phantastische Szenerie des Verfalls entstand: Filigrane Gaslaternen, die längst kein Glas und keine Glühkörper mehr hatten, hingen an den mit gesprungenen Mosaikkacheln verzierten Wänden, die über und über mit dem Schlamm vergangener Sturzfluten verschmiert waren. Auch die Decke des Bahnhofs bestand aus einem prächtigen Mosaik, das die zwölf Tierkreiszeichen darstellte.
Am hinteren Ende des Bahnsteigs liefen die vielen verschiedenen Trampelpfade vor einem niedrigen Torbogen
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