Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
und unterdrückte ein Grinsen.
Jetzt muß ich Greg aber wirklich mal anrufen, dachte sie. Heute abend suche ich mir seine Nummer aus dem Telefonbuch.
Besser spät als gar nie.
Als sie Hagedorn schnauben hörte, blickte sie auf. »Sind Sie bald fertig?« fragte er ungeduldig. »Sie sollen bloß Ihren Namen eintragen, nicht einen lyrischen Erguß schreiben..
10
Die breite Vorderfront des Polyhymnia Clubs an der West 45th Street erinnert mit ihren üppigen Verzierungen aus Marmor und Sandstein manche Leute an das Heck einer spanischen Galeone. In der Mitte, gleich über der Markise, befindet sich eine vergoldete Statue der für Rhetorik zuständigen Muse Polyhymnia, die nur auf einem Fuß steht und so aussieht, als wolle sie jeden Moment abheben und losfliegen. Samstag abends herrscht im Polyhymnia-Club immer Hochbetrieb, und obwohl nur New Yorker Journalisten Zutritt zu dem Gebäude haben, kommt die schwere Drehtür nur selten zur Ruhe. Wie schon Horace Greeley einmal beklagte, trifft der Begriff »New Yorker Journalist« offenbar auf »die Hälfte aller arbeitslosen jungen Spunde südlich der 14th Street« zu.
Im eichenholzgetäfelten Inneren des Gebäudes trat Bill Smithback an die Bar und bestellte einen Coal Ila ohne Eis. Er gab nicht allzu viel auf die altehrwürdige Tradition des Clubs, dafür aber schätzte er dessen einmaliges Angebot an speziell importierten schottischen Whiskeys um so mehr. Als ihm der Barkeeper den bernsteinfarbenen Single Malt hinstellte, nahm er andächtig einen Schluck und genoß mit geschlossenen Augen den einzigartigen Geschmack nach Torffeuer und dem Wasser des Loch nam Ban. Danach erst sah er sich um und nahm die bewundernden Blicke seiner Kollegen entgegen.
Der Wisher-Mord hatte sich als einer der größten Glücksfälle in Smithbacks Karriere erwiesen. Schon jetzt hatte er ihm drei Titelgeschichten in weniger als einer Woche verschafft, denn vor diesem Hintergrund waren auch das Geschwätz und die vagen Drohungen von Mephisto für eine Schlagzeile auf Seite eins gut gewesen.
Sogar Murray hatte ihm heute nachmittag freundschaftlich auf die Schulter geklopft, und dabei konnte der Chefredakteur sonst nie ein lobendes Wort erübrigen.
Nachdem Smithback niemanden entdeckt hatte, mit dem er gerne geredet hätte, bestellte er sich noch einen Whiskey. Es ist schon erstaunlich, dachte er, welche Macht man als Journalist doch hat. Die ganze Stadt war wegen seiner Artikel aus dem Häuschen, in denen selbst der Bürgermeister sein Fett wegbekommen hatte, und seine Idee mit der Belohnung hatte so eingeschlagen, daß Ginny die Anrufe nicht mehr allein bewältigen konnte und Verstärkung durch eine extra angeheuerte Telefonistin bekommen hatte. Mrs. Wisher konnte mit Smithback zufrieden sein. Er hatte ganze Arbeit geleistet. Nur ganz am Rande kam Smithback der Verdacht, daß Mrs. Wisher ihn vielleicht bewußt manipuliert haben könnte. Er schob ihn aber sogleich beiseite und ließ einen Schluck von seinem Scotch die Kehle hinunterrinnen, wie ein Traum von einer schöneren Welt.
Als sich eine Hand auf seine Schulter legte, fuhr Smithback herum. Es war Bryce Harriman, der Polizeireporter der Times , der ebenfalls auf den Fall Wisher angesetzt war.
»Ach, du bist's«, sagte Smithback mit enttäuschter Miene.
»Alles klar, Bill?« fragte Harriman, während er sich neben Smithback an die Bar zwängte und auf die zinkbeschlagene Theke klopfte. »Ein Kilians«, bestellte er beim Barkeeper.
Smithback nickte schicksalsergeben. Von allen Leuten in dieser Stadt mußte ihm ausgerechnet dieser Kerl über den Weg laufen.
»Tolle Idee, das mit der Belohnung«, meinte Harriman und nahm die Hand immer noch nicht von Smithbacks Schulter.
»Bestimmt hat sie bei der ... Post großen Anklang gefunden.«
Harriman zögerte einen Augenblick vor dem Wort Post , als würde ein anständiger Mensch es normalerweise nicht in den Mund nehmen.
»Das ist richtig.«
»Weißt du was, Smithback, eigentlich sollte ich mich bei dir bedanken. Du hast mir zu einer guten Story verholfen.«
»Ach wirklich?« fragte Smithback ohne großes Interesse.
»Wirklich. Du solltest mal lesen, was morgen in der Times steht.
Die polizeilichen Untersuchungen sind praktisch zum Stillstand gekommen«, sagte Harriman mit einem selbstzufriedenen Grinsen. »Seit ihr diese Belohnung ausgesetzt habt, rufen sämtliche Psychopathen der Stadt ständig bei der Polizei an, die daraufhin jeder auch noch so idiotischen Spur nachgehen muß.
Weitere Kostenlose Bücher