Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
auf.
O’Shaugnessy nannte dem Mann (zu dieser geschlechtsspezifischen Festlegung hatte er sich letztendlich durchgerungen) seinen Namen, sagte ihm, dass er für das FBI arbeite, und hielt ihm seinen nagelneuen Ausweis hin. »Ich würde Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, gern einige Fragen stellen.«
Der Mann sah sich den Ausweis lange mit unverhohlenem Misstrauen an. Das abschließende Achselzucken wertete O’Shaugnessy als Einverständnis.
»Welche Art Kunden kommen in Ihr Geschäft?«
Der Mann zog eine Grimasse. »Na ja, hauptsächlich diese Hexenmeister.« Er fügte schnell hinzu: »Ist nicht böse gemeint, die nennen sich selber so.«
Es dauerte eine Weile, bis O’Shaugnessy ahnte, worauf der Ladenbesitzer hinauswollte. »Meinen Sie so was wie Heilpraktiker und Kurpfuscher?«
Der Mann nickte.
»Haben Sie auch andere Kunden? Zum Beispiel Ärzte?«
»Nein, von denen lässt sich nie einer hier sehen. Hin und wieder mal ein Chemiker. Oder Leute mit komischen Hobbys. Sie wissen schon: die Typen, die sich ihr Lebenselixier selber zusammenrühren.«
»Ist da zufällig einer darunter, der sich altmodisch – oder sagen wir: ungewöhnlich kleidet?«
Der Ladenbesitzer deutete mit dem Kopf nach draußen. »Hier laufen alle in ungewöhnlicher Kleidung rum.«
O’Shaugnessy überlegte einen Moment, dann entschloss er sich zu einem neuen Anlauf. »Wir ermitteln in einigen Verbrechen, die etwa um die Jahrhundertwende begangen wurden. Ich wüsste gern, ob Sie noch alte Geschäftsunterlagen aufbewahren, die ich einsehen könnte – Kundenlisten und dergleichen?«
»Könnte sein«, sagte der Mann.
O’Shaugnessy sah ihn verdutzt an. »Wie meinen Sie das?«
»Dieses Haus ist 1924 bis auf die Grundmauern abgebrannt. Nach dem Wiederaufbau hat mein Großvater – er hat das Geschäft seinerzeit noch geführt – angefangen, sämtliche Unterlagen in einem feuerfesten Safe aufzubewahren. Mein Vater hat, nachdem er das Geschäft übernommen hatte, den Safe nicht mehr benutzt, sondern nur noch die Habseligkeiten des Großvaters darin aufbewahrt. Und vor drei Monaten ist er selber gestorben. Schlaganfall, haben sie mir gesagt.«
»Tut mir Leid, das zu hören.«
»Danke. Tja, was ich eigentlich sagen wollte: Vor einigen Wochen ist ein Antiquitätenhändler zu mir gekommen, hat sich überall umgesehen und ein paar Möbelstücke gekauft. Dann hat er den alten Safe entdeckt und mir eine Menge Geld in Aussicht gestellt, wenn sich irgendwas von historischem Wert darin fände. Da habe ich das Ding aufschweißen lassen. Ich dachte, es lägen vielleicht Goldmünzen oder Aktien drin – aber Pustekuchen. Der Antiquitätenhändler war genauso enttäuscht wie ich.«
»Was lag denn in dem Safe?«
»Papierkram, alte Aktenordner und solches Zeug. Darum habe ich vorhin ›könnte sein‹ gesagt.«
»Darf ich mal einen Blick hineinwerfen?«
»Warum nicht?«, sagte der Ladenbesitzer achselzuckend und führte O’Shaugnessy in ein in schummeriges Licht getauchtes Hinterzimmer. Der Safe war fast mannshoch, ein wuchtiges Stück aus grünem Stahl, das kreisrunde Loch markierte die Stelle, an der das Schloss aufgeschweißt worden war. Der Ladenbesitzer zog die Tür auf und trat einen Schritt beiseite. O’Shaugnessy kniete sich vor den Safe und versuchte, irgendetwas zu entdecken, aber in dem kleinen Zimmer war es einfach zu dunkel.
»Können Sie noch ein paar Lampen einschalten?«
»Tut mir Leid, es gibt nur die eine.«
»Haben Sie vielleicht eine Taschenlampe zur Hand?«
Der Drogist schüttelte den Kopf, aber dann fiel ihm anscheinend etwas ein. Er verschwand und kam einen Moment später mit einem Kerzenhalter samt brennender Kerze wieder.
Das gibt’s doch nicht!, dachte O’Shaugnessy, aber weil die Kerze immerhin besser als gar nichts war, murmelte er brav ein Dankeschön und leuchtete das Innere des Safes aus.
Für einen so großen Tresor war er ziemlich leer. O’Shaugnessy machte rasch Inventur: ein Stapel alter Zeitungen, verschiedene vergilbte, sauber gebündelte Papiere, etliche Hauptbücher von anno Tobak, ein halbes Dutzend Schuhkartons, vermutlich ebenfalls mit Geschäftsunterlagen gefüllt, und zwei kleine, mit Plastik bezogene Aktenordner, die offensichtlich aus jüngerer Zeit stammen mussten.
Er fing mit den Hauptbüchern an. Das erste stammte aus dem Jahr 1925, eine Art Inventurverzeichnis, Seite für Seite akribisch in sauberer Handschrift eingetragen. Und so ging es weiter bis zum Band aus dem Jahr 1942.
»Wann
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