Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Artikel wurde erwähnt, dass der allseits bekannte Professor John C. Shottum vermisst werde und sein Ableben zu befürchten sei. Auch ein gewisser Enoch Leng wurde vermisst, der in dem Artikel ziemlich vageals Shottums »Assistent« beschrieben wurde. Offensichtlich hatte der Verfasser Leng mangels genauerem Wissen völlig falsch eingeordnet.
Smithback blätterte weiter, bis er auf einen zweiten Bericht über den Brand stieß, in dem es hieß, man habe in der Brandruine die sterblichen Überreste eines Mannes gefunden, bei dem es sich vermutlich um Shottum handele. Leng wurde mit keiner Zeile erwähnt.
Von da an blätterte sich Smithback in der Hoffnung, etwas über das Museum, den Bildungszirkel, Leng, Shottum oder McFadden zu finden, rückwärts durch den Lokalteil. Er kam sehr langsam voran, was hauptsächlich daran lag, dass er aus Neugier immer wieder an interessanten Meldungen hängen blieb, die eigentlich gar nichts mit seinem Thema zu tun hatten.
Nach einigen Stunden befiel ihn leichte Nervosität. Es gab etliche Artikel über das Museum, einige wenige über den Bildungszirkel, und hin und wieder wurden auch Shottum und Tinbury McFadden namentlich erwähnt. Aber er fand absolut nichts über Leng, abgesehen von dem Bericht über ein Treffen des Bildungszirkels, in dem auch ein »Dr. Enoch Leng« als Teilnehmer genannt wurde. Offenbar war Leng seinerzeit ein weitgehend unbeschriebenes Blatt gewesen.
Als Smithback sich klar gemacht hatte, dass er so nicht weiterkam, entschloss er sich zu einer anderen Vorgehensweise, die zwar zeitraubender war, von der er sich aber eher brauchbare Ergebnisse versprach.
Er begann mit dem Jahr 1917, in dem Leng sein Labor in der Doyers Street aufgegeben hatte, und suchte die dreihundertfünfundsechzig Ausgaben dieses Jahrgangs nach Berichten über ungeklärte Mordfälle ab. Um 1917 hatten Morde noch einen gewissen Seltenheitswert, daher ging Smithback davon aus, dass die Berichte gewöhnlich auf der Titelseite standen. Er beschränkte sich aber nicht darauf, alle dreihundertfünfundsechzig Titelseiten gewissenhaft durchzusehen, sondern überflogzusätzlich die Todesanzeigen, immer auf der Suche nach dem Namen Enoch Leng. Die Nachricht von Lengs Ableben wäre nicht nur für seinen Artikel, sondern bestimmt auch für O’Shaugnessys Ermittlungen ein Volltreffer gewesen.
Es gab etliche Berichte über Mordfälle und noch mehr Todesanzeigen, wobei letztere bei Smithback häufig einen Aha-Effekt auslösten, sodass er sich ihnen viel zu ausführlich widmete, was wiederum dazu führte, dass er vor lauter Faszination nur sehr langsam vorankam.
Schließlich fand er doch noch, wonach er suchte, und zwar auf der Titelseite der Ausgabe vom zehnten September 1918: »Verstümmelte Leiche in einer Notunterkunft gefunden.« Der Artikel war – offenbar mit Rücksicht auf die Leserschaft – altmodisch betulich verfasst, die Art der Verstümmelung wurde nicht näher beschrieben. Immerhin ließ er den Schluss zu, dass es sich um Verletzungen im unteren Rückenbereich handelte.
Smithbacks Reporterinstinkt schlug sofort Alarm. Leng war also 1917, ein Jahr nach der Aufgabe seines Labors in der Doyers Street, noch aktiv gewesen. Im Klartext: Er hatte weitergemordet.
Bis zum späten Abend war Smithback auf ein halbes Dutzend ähnlicher Morde gestoßen, jeweils im Abstand von etwa zwei Jahren, die möglicherweise alle auf Lengs Konto gingen. Vielleicht hatte es noch weitere, nicht entdeckte Morde gegeben; vielleicht hatte Leng sich aber auch nur nicht mehr die Mühe gemacht, seine Opfer zu verscharren, sondern sie einfach an Ort und Stelle liegen lassen. Es handelte sich durchweg um Obdachlose, von denen überhaupt nur einer identifiziert wurde, bevor man ihn, wie alle anderen, in einem Armengrab auf dem Potter’s Field beisetzte. Kein Wunder, dass niemandem, nicht mal der Polizei, die verblüffende Ähnlichkeit der Verletzungen und der sonstigen Begleitumstände aufgefallen war.
Der letzte Mord, der Lengs Handschrift aufwies, wurde allemAnschein nach 1935 begangen. Danach gab es natürlich noch zahlreiche Morde, aber die Opfer wiesen in keinem Fall die unverwechselbaren Verletzungen auf, die zu Lengs Modus Operandi gehörten.
Smithback rechnete rasch nach: Leng war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nach New York gekommen, vermutlich im Alter von rund dreißig Jahren. Demnach musste er 1935 etwa neunzig gewesen sein. Die Antwort auf die Frage, warum der letzte Mord mit Lengs
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