Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
jedem Falken Ehre gemacht hätte. »Es kommt mir so vor, als sähen Sie heute nicht so aus wie sonst.«
Pendergast nickte. »Da haben Sie zweifellos Recht.« Mehr sagte er nicht.
Wren schien auch gar nicht damit gerechnet zu haben, er wechselte übergangslos das Thema. »Konnten Sie mit den Unterlagen, die Sie sich neulich bei mir geholt haben, etwas anfangen? Worum ging’s da noch mal? Um die alte Broad-waywasserstation und die Geschichte der Five Points, nicht wahr?«
Pendergast nickte abermals. »Die waren mir eine überaus wertvolle Hilfe.«
Wren beäugte neugierig das Päckchen, das Pendergast unter dem Arm trug. »Und was schleppen Sie mir heute an? Irgendeine hypokritische Lektüre?«
Pendergast legte das Päckchen auf den Tisch. »Es ist eine alte Handschrift.
Iphigenie auf Aulis
, aus dem Griechischen in vulgärsprachliches Latein übersetzt.«
Wren hörte mit unbewegter Miene aufmerksam zu, er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein.
»Das Manuskript wurde im vierzehnten Jahrhundert im Kloster St. Chapelle mit kunstvoller Buchmalerei ausgeschmückt. Eine der letzten überlieferten Arbeiten, bevor das Kloster ein Opfer der verheerenden Feuersbrunst von 1397 wurde.«
Plötzlich lag ein Flackern in Wrens gelblichen Augen.
»Papst Pius III. wurde auf das Buch aufmerksam. Er erklärte es zur gotteslästerlichen Lektüre und ordnete an, sämtliche Abschriften zu verbrennen. Die Buchmalerei soll, so heißt es, in verschlüsselter Form Geoffrey Chanters fragmentarische Erzählung
Cook’s Tale
wiedergeben.«
Aus Wrens flackerndem Interesse war unverhohlene Gier geworden. Er streckte die Hand nach dem Päckchen aus. Pendergast zog es rasch außer Reichweite. »Es gäbe freilich eine Gefälligkeit, um die ich im Gegenzug bitten möchte.« Wren verzog keine Miene. »Damit habe ich von vornherein gerechnet.«
»Ist Ihnen Wheelwrights Vermächtnis ein Begriff?«
Wren runzelte die Stirn, dann schüttelte er so entschieden den Kopf, dass seine weißen Locken hin und her flogen.
»Er war von 1866 bis 1894 Präsident des New Yorker Grundbuchamtes. Man sagt ihm nach, er sei ein notorischer Federfuchser gewesen und habe ständig Rundschreiben, Anordnungen und Auflagen verfasst, die er in späteren Jahren der New York Library vermacht haben soll.«
»Das erklärt, warum ich nie etwas davon gehört habe«, erwiderte Wren. »Das hört sich nicht nach Unterlagen von sonderlichem Wert an.«
»In seinem Testament hat er der Bibliothek neben den Papieren eine beträchtliche Summe Bargeld vermacht.«
»Dann dürften die Papiere noch vorhanden sein. Aber man hat sie vermutlich in den siebten Stock, wenn nicht gar auf den Dachboden verbannt.«
Pendergast nickte.
»Warum interessieren Sie sich dafür, Sie unverbesserlicher Geheimniskrämer?«
»In den Nachrufen war zu lesen, Wheelwright habe vor seinem Tod an einer methodischen Auswertung der Vermögensverhältnisse New Yorker Grundstückseigner gearbeitet. Bei seinen Nachforschungen hat er sich hauptsächlich auf Kopien von Grundstücksübereignungen mit einem Wert von über tausend Dollar gestützt. Es läge mir sehr daran, diese Kopien zu sehen.«
Wren verzog das Gesicht. »Sollten Sie sich da nicht lieber an die New York Historical Society wenden?«
»Das hätte ich gern getan. Aber einige der Grundstücksdokumente sind aus ungeklärten Gründen aus den dortigen Unterlagen verschwunden. Es geht insbesondere um eine Reihe von Grundstücken am Riverside Drive. Ich hatte jemanden bei der Society gebeten, mir die Papiere herauszusuchen, aber er konnte mir nur mitteilen, dass sie nicht auffindbar sind. Der Mann war äußerst konsterniert, dass so etwas passieren kann.«
»Und nun soll ich Ihnen die Kopien besorgen?«
Statt langer Erklärungen hielt ihm Pendergast stumm das Päckchen hin.
Wren griff geradezu gierig danach, betrachtete es ein paar Sekunden lang ehrfurchtsvoll, schlitzte mit dem Buchbindermesser das Packpapier auf und entfernte pedantisch die Wellpappe, in die die alte Handschrift gehüllt war. Pendergast schien er völlig vergessen zu haben.
Der Agent räusperte sich. »Ich schlage vor, dass ich in achtundvierzig Stunden wiederkomme, Wheelwrigts Vermächtnis an Ort und Stelle studiere und sodann meine alte Handschrift wieder mitnehme.«
»Es könnte etwas länger dauern«, sagte Wren, ohne hochzusehen. »Soweit ich weiß, existieren die Unterlagen nicht mehr.«
»Ich habe großes Vertrauen in Ihre Findigkeit.«
Wren murmelte etwas
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