Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
nach den Leichen gesucht. Denn Sie wussten bereits, dass EnochLeng sie vor einhundertdreißig Jahren dort verscharrt hatte. Und woher konnten Sie das wissen? Nun, alles fing mit Ihrem Interesse am Archiv des Museums an. Sie waren schneller als Dr. Kelly, Sie haben vor ihr einen Blick in die Unterlagen über Shottums Sammlung geworfen. Kein Wunder, dass wir so ein Durcheinander angetroffen haben. Sie hatten alles mitgenommen, was Ihnen nützlich erschien. Aber Sie wussten nichts über Tinbury McFadden und den präparierten Elefantenfuß. Stattdessen haben Sie Lengs Tagebücher und die Aufzeichnungen über seine geheime Laborarbeit entdeckt. Nur, als Sie Leng dann endlich in seinem Versteck aufgespürt hatten und Ihre Vermutung, dass er noch lebe, bestätigt sahen, hat er sich leider nicht so redselig gezeigt, wie Sie es sich gewünscht haben. Er hat Ihnen seine Formel nicht verraten, nicht mal unter der Folter, nicht wahr? Also mussten Sie auf die Spuren zurückgreifen, die Leng in dem Kellergewölbe an der Catherine Street hinterlassen hatte. Um das tun zu können, mussten Sie das Land aufkaufen, die alten Ziegelsteinbauten abreißen und eine Grube ausheben, die tief genug für das Fundament Ihres Neubaus war.«
Pendergast kräuselte die Stirn, als sei ihm gerade noch etwas anderes eingefallen. »Dr. Kelly hat mir von fehlenden Seiten im Besucherbuch des Archivs erzählt. Das waren die Seiten, in denen Ihr Name stand, nicht wahr, Mr. Fairhaven? Der Einzige, der wusste, wann Sie im Archiv gewesen sind, war Puck, also musste er sterben. Und mit ihm alle, die Ihnen schon auf der Spur waren: Dr. Kelly, Sergeant O’Shaugnessy und ich. Denn je größer unsere Chance wurde, Lengs Haus zu finden, desto größer wurde aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass wir Sie ebenfalls finden würden.«
Sekundenlang zeichnete sich auf Pendergasts Miene ein gequälter Zug ab. »Wie konnte ich nur so begriffsstutzig sein, das nicht zu erkennen? Spätestens nachdem ich Lengs Leiche gesehen hatte, hätte mir das klar sein müssen. Weil der Zustand seiner Leiche eindeutig bewies, dass er zu Tode gefoltertworden war,
bevor
die Leichen an der Catherine Street gefunden wurden.«
Fairhaven verzog keine Miene. Die Kette der Schlussfolgerungen war erstaunlich überzeugend. Knall ihn einfach ab!, mahnte ihn eine innere Stimme.
»Wie lautet die alte arabische Weisheit über den Tod?«, fuhr Pendergast in seinem Monolog fort. »›Er ist es, der allen irdischen Freuden ein Ende setzt.‹ Wie wahr! Die Mühsal des Alters, Krankheit und Gebrechen und am Schluss der Tod – das sind die Plagen, die keinem von uns erspart bleiben. Manche suchen Trost in der Religion, andere im Stoizismus, und wieder andere reden sich ein, es gebe keine Mühsal. Aber Ihnen, der Sie immer alle Störfaktoren ausgeschaltet haben, muss die Gewissheit des Todes wie eine schreckliche Ungerechtigkeit vorkommen.«
Fairhaven zuckte schmerzlich zusammen. Der Gedanke an Arthur, seinen älteren Bruder, der an vorzeitiger Vergreisung gestorben war, drängte sich ihm auf. Der furchtbare Anblick, wie die Haut des jungen Gesichts mehr und mehr von Verhornung entstellt wurde und seine Glieder zu schrumpfen begannen. Der Umstand, dass die Krankheit so selten war und man ihre Ursachen nicht kannte, war kein Trost gewesen. Es gab viel, was Pendergast nicht wusste. Und was er nie mehr erfahren würde.
Er zwang sich, die Schreckensbilder abzuschütteln. Mach schon, töte ihn! Aber aus irgendeinem Grunde wollte seine Hand nicht gehorchen – noch nicht. Nicht, bevor er mehr in Erfahrung gebracht hatte.
Pendergast deutete mit dem Kopf auf die Gestalt, die reglos auf dem Operationstisch lag. »So wie Sie sich das vorstellen, werden Sie Ihr Ziel nie erreichen, Mr. Fairhaven. Lengs Fähigkeiten und sein Geschick waren so hoch entwickelt, wie Ihnen das nicht mal annähernd gelingen wird.«
Irrtum, dachte Fairhaven bei sich, es ist mir bereits gelungen. Ich habe Leng längst überflügelt. Ich bin der Leng, der er seinwollte. Nur durch mich kann sein Werk zur höchsten Vollendung gelangen …
»Ich weiß, was Sie denken«, sagte Pendergast. »Sie denken, dass ich Unrecht habe. Sie glauben, Sie seien am Ziel. Aber Sie sind ihm nicht mal nahe gekommen, und das werden Sie auch nie schaffen. Fragen Sie sich selbst: Spüren Sie einen Unterschied? Fühlen Sie sich jünger als früher, agiler? Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sich eingestehen, dass Sie Angst haben, die Zeit könnte Ihnen davonlaufen.
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