Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
lauerte? Wenn sie Bill tatsächlich tot vorfand? Und wenn Pendergast ebenfalls tot war? Schaffte sie es, ihrem Peiniger zu entkommen? Konnte sie sich gegen ihn zur Wehr setzen? War sie bereit zu sterben, wenn das die einzige Alternative dazu war, der Tortur zu entgehen, die der Irre ihr bereiten würde?
Sinnlose Spekulationen halfen ihr nicht weiter. Sie musste sich einfach an Pendergasts Plan halten und tun, was er ihr gesagt hatte.
Mit fast übermenschlicher Anstrengung schaffte sie es, sich aus ihrer kauernden Haltung hochzustemmen und ins Halbdunkel jenseits der offenen Tür einzutauchen. Der Flur war feucht, an den Wänden blühte Schimmel, der Ziegelsteinboden war uneben. Weiter hinten, vermutlich am Ende des Flurs, stand eine Tür offen, dahinter lag ein hell ausgeleuchteter Raum, offenbar die einzige Lichtquelle im ganzen Kellergeschoss. Der Raum lag in der Richtung, aus der sie den Schuss gehört hatte. Es war die Richtung, die Pendergast eingeschlagen hatte, als er losgegangen war. Und wenn sie nicht alles täuschte, waren auch die hastigen Schritte aus dieser Richtung gekommen.
Den ersten Schritt setzte sie noch zögerlich, auch den zweiten, aber dann gab sie sich einen Ruck und ging entschlossen – wenn auch mit zitternden Knien – auf das helle Lichtviereck zu.
5
Fairhaven blickte fassungslos auf die Stelle, wo Pendergast an der Wand gelehnt hatte. Eigentlich musste er dort in seinem Blut liegen. Aber es gab keine Blutlache, von dem FBI-Agent war nichts zu sehen. Er war weg. In Luft aufgelöst.
Fairhaven starrte wütend auf den leeren Fleck. Das konnte nicht sein, das war physisch unmöglich.
Und dann entdeckte er, dass da, wo Pendergast gestanden hatte, auf einmal eine Öffnung klaffte – eine verborgene Tür. Wieso wusste er nichts von dieser Tür, obwohl er das ganze Haus sorgfältig nach Fallklappen und Tapetentüren abgesucht hatte?
Er stand eine Weile wie angewurzelt da und versuchte, den inneren Aufruhr, der in ihm tobte, durch die Kraft seines Willens zu unterdrücken. Er wusste aus Erfahrung, dass ein kühler Kopf die Voraussetzung dafür ist, selbst schwierige Situationen zu meistern. Das zu wissen und sich daran zu orientieren war im Grunde das ganze Geheimnis seines Erfolgs. Der kühle Kopf würde ihn auch jetzt nicht im Stich lassen. Und so ging er, Pendergasts Colt schussbereit in der Hand, vorsichtig auf das Loch in der Wand zu. Hinter der verborgenen Tür führte eine Steintreppe in das Dunkel eines noch tiefer gelegenen Gewölbes. Pendergast wollte ihn offensichtlich in dieses Dunkel locken. Ein raffinierter Trick, zumal die Treppe in engen Windungen nach unten führte, sodass Fairhaven von oben nicht einsehen konnte, wie es nach der letzten Stufe weiterging. Wahrscheinlich war das Ganze eine Falle, es konnte gar nicht anders sein.
Andererseits, er hatte keine Wahl, er musste den FBI-Agent zur Strecke bringen. Und außerdem herausfinden, was sich in dem Gewölbe am Fuß der Treppe verbarg. Das Risiko war nicht allzu groß, die Vorteile lagen eindeutig bei ihm. Er hatte eine Waffe, Pendergast war unbewaffnet und überdies vielleicht durch den Schuss verwundet.
Fairhaven sah sich den Colt genauer an. Er verstand etwas von Handfeuerwaffen, es war ein fünfundvierziger Government-modell mit Nachtsichtoptik und lasergesteuerter Zielerkennung, unter Brüdern gut und gern dreitausend Dollar wert. Irgendwie grenzte es an Ironie, dass es Pendergast bestimmt war, ein Opfer des teuren Hightechspielzeugs zu werden, das er sich mit so viel Sorgfalt ausgesucht hatte.
Fairhaven ging, ohne die versteckte Tür aus den Augen zu lassen, noch einmal in den Operationsraum zurück und nahm aus dem Wandschrank eine von starken Batterien gespeiste Taschenlampe. Erst als er schon auf dem Rückweg war, erlaubte er sich einen raschen Blick auf die Monitore und stellte mit tiefem Bedauern fest, dass Smithbacks Lebenszeichen allmählich schwächer wurden. Er hatte seine chirurgische Kunst umsonst investiert, die Ressource war so gut wie verloren.
Er kehrte zur Steintreppe zurück und richtete den Strahl der Taschenlampe nach unten. Auf den mit Staub bedeckten Stufen konnte er deutlich die Abdrücke von Pendergasts Schuhen ausmachen. Aber das war nicht alles: Auf einer Stufe glitzerte ein Blutstropfen und ein paar Stufen tiefer wieder einer. Also doch, er hatte Pendergast getroffen. Dennoch nahm er sich vor, nun erst recht vorsichtig zu sein. Menschen sind – genau wie Tiere – verwundet am
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