Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
gefährlichsten.
Er blieb auf der ersten Stufe stehen. Ob es nicht besser war, sich erst diese Archäologin vorzunehmen, die vermutlich noch angekettet in dem Verlies lag? Es konnte natürlich auch sein, dass Pendergast sie befreit hatte, aber selbst dann hatten sich ihre Chancen nicht nennenswert verbessert. Das Erdgeschoss des Hauses war eine gesicherte Festung, diese Kelly konnte ihm nicht entkommen.
Das vordringliche Problem hieß aber Pendergast. Er würde nicht noch einmal den Fehler machen, sich vom Geschwätz des Agent einlullen zu lassen. O nein, diesmal würde er ihm keine Galgenfrist einräumen: Pendergast war tot, noch ehe er den Mund aufmachen konnte. Und wenn das erledigt war,musste er nur den Spuren folgen, die die Archäologin hinterlassen hatte, sie in den Operationsraum schleppen und gegen den Reporter austauschen. So wie die Dinge lagen, war er wohl gezwungen, Smithback als Ressource abzuschreiben, sodass Kelly zur einzigen ihm noch verbliebenen Ressource geworden war.
Die Steinstufen schraubten sich in engen Windungen nach unten, Fairhaven kam sich vor wie im Gehäuse eines überdimensionalen Korkenziehers gefangen. Er musste vorsichtig sein, hinter jeder Windung konnte Pendergast lauern. Er nahm sich viel Zeit, aber schließlich war er am Fuß der Treppe angekommen.
Das Kellergewölbe roch nach Chemikalien – Ammoniak, Benzolsäure – weiß der Himmel, was ihm alles in die Nase stach. Die Fußspuren verliefen kreuz und quer, überall glitzerten Blutstropfen, Pendergast hatte sich anscheinend gründlich umgesehen. An der Wand hingen an Holzhaken Grubenlaternen, einer der Haken war leer.
Fairhaven richtete die Taschenlampe auf die gegenüberliegende Wand und zuckte verblüfft zurück. Es sah aus, als wäre die ganze Wand mit Diamanten gespickt: Tausende und Abertausende glitzernder Splitter schienen ihn anzublinzeln. Als er die erste Verblüffung überwunden hatte, war das Rätsel schnell gelöst: Es war nur der Widerschein der Taschenlampe, der ihm den funkelnden Zauber vorgaukelte. In Wirklichkeit war es nur der Reflex der auf den Regalen aufgereihten Flaschen. Der Lichtstrahl der Taschenlampe hatte einen ähnlichen Effekt ausgelöst, wie man ihn unter einem starken Mikroskop beim Auge einer Fliege beobachten kann.
Sein Atem ging schneller. Hier in diesem Gewölbe hatte Leng also seine letzten Versuche durchgeführt, hier hatte er seine Formula – die Formel zur Verlängerung des Lebens – zur letzten Vollendung gebracht. In einem der Kellergewölbe, die sich hier unten aneinander reihten, musste das Geheimnis verborgen sein, das Leng ihm selbst unter der Folternicht verraten hatte. Er erinnerte sich genau, wie enttäuscht und geradezu verzweifelt er gewesen war, als er gemerkt hatte, dass Lengs Herz nicht mehr schlug – vermutlich, weil er ihm zu hart zugesetzt hatte. Aber das war Schnee von gestern: Irgendwo hier unten, sozusagen direkt vor seiner Nase, musste Lengs Formel versteckt sein, genau wie Pendergast gesagt hatte. Nur das zählte jetzt noch, alles andere spielte keine Rolle mehr. Doch dann fiel ihm ein, dass Pendergast gesagt hatte, Leng habe am Schluss an einem ganz anderen, viel wichtigeren Projekt gearbeitet.
Unsinn – was für ein Projekt sollte das denn gewesen sein? Es lag auf der Hand, dass Pendergast sich das nur ausgedacht hatte. Eine Finte – und nicht mal eine gute. Was konnte wichtiger sein als die Verlängerung des eigenen Lebens? Zu welchem anderen Zweck hätte Leng sich dieses unterirdische Labor eingerichtet und tausende Flaschen mit chemischen, botanischen und tierischen Proben zusammengetragen?
Er weigerte sich, seine Zeit mit Spekulationen zu vertun. Sobald Pengergast tot war und er die hübsche junge Archäologin unter dem Messer hatte, konnte er sich in aller Ruhe mit der Frage beschäftigen, ob Pendergasts Gerede vielleicht doch einen realen Hintergrund hatte.
Wieder suchte er mit der Taschenlampe den Boden ab. Offensichtlich war die Blutung stärker geworden, die roten Tropfen mehrten sich. Und es kam ihm auch so vor, als ließen die Fußspuren darauf schließen, dass Pendergast in zunehmend hektischerer Eile gewesen war; er war nun offenbar achtlos an den Flaschenbatterien vorbeigeeilt.
Trotzdem, Fairhaven musste auf der Hut und äußerst misstrauisch sein. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen, womöglich inmitten dieser Sammlung wertvoller, vielleicht sogar unersetzlicher Essenzen gezwungen zu sein, mehrere Schüsse abzugeben. Er brachte
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