Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
auf ihn verlassen kann. Es wäre mir eine große Beruhigung zu wissen, dass Sie beide weiter …«
Nora schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage.« Pendergast gebot ihr mit einer unwilligen Geste Einhalt.
»Tun Sie’s zu Ihrer eigenen Sicherheit. Und nun muss ich mich wieder meiner Arbeit widmen. Ich bin sehr darauf gespannt, nach Ihrer Rückkehr aus Peekskill von Ihnen zu hören.«
Seine abrupte Art grenzte an einen Rausschmiss. Nora war ein wenig verärgert. Vor allem, weil er es wieder geschafft hatte, sie in seine Nachforschungen einzubinden. Nur, die Sache mit Smithback konnte er vergessen. Der dachte dochununterbrochen an den Pulitzerpreis, nur deshalb wollte er den zweiten Akt des Dramas aus nächster Nähe miterleben. Gut, sie würde nach Peekskill fahren – aber allein.
9
Der kleine, verschwiegene Keller erinnerte in seiner Kargheit an eine Mönchsklause. Nur ein schmaler Tisch und ein schlichter Sessel brachten etwas Abwechslung in die Monotonie des unebenen Steinfußbodens und der feuchten, unverputzten Wände. Eine abgeschirmte Lampe warf ultraviolettes Licht auf die vier Utensilien auf dem Tisch: ein abgewetztes, zerfledderndes, ledernes Notizbuch, ein altmodischer Füllfederhalter, ein bräunlicher Gummiriemen und eine Spritze für subkutane Injektionen.
Die Gestalt im Sessel ließ den Blick wohlgefällig über die vier Gegenstände gleiten, dann griff sie sehr langsam nach der Spritze. Im ultravioletten Licht sah die Nadel aus, als werde sie gleich zu glühen beginnen, das Serum schien im Glasröhrchen zu dampfen.
Der Mann starrte auf das Serum, drehte das Röhrchen hin und her, fasziniert von den kleinen Strudeln, die sich bildeten. Das war’s, wonach die Menschheit seit Urzeiten gesucht hatte: der Stein der Weisen, der Heilige Gral, der wahre Odem Gottes. Viele Opfer waren notwendig gewesen, um seiner habhaft zu werden – Opfer, die er bringen, und Opfer, die er anderen abverlangen musste, bis das Serum zu höchster Vollendung gediehen war. Aber wie viele Opfer auch gebracht werden mussten, sie waren es wert gewesen. Hier, vor ihm, lag die Unendlichkeit des Lebens, eingefangen in Glas.
Sein
ewiges Leben. Aus einem einzigen Material entstanden: der neuronalen Membrane der Cauda equina, dem Bündel spinaler Ganglien mit den längsten Nervensträngen. Und das alles, um die Körperzellen mit einer Essenz aus Neuronenzu tränken, sodass sie unsterblich wurden. Scheinbar ein ganz einfaches Konzept, aber welch gewaltiger Anstrengungen und wie viel mühevollen Suchens hatte es bedurft, bis alles entwickelt und zur Formel geworden war: zur formula.
Der Prozess der Synthese und Verfeinerung war quälend langsam verlaufen. Und dennoch hatte er ihn genossen, so wie er das Ritual genoss, das er in wenigen Minuten zu vollziehen gedachte. Es war gleichsam eine religiöse Erfahrung für ihn gewesen, sich Schritt für Schritt weiter voranzutasten und das richtige Maß zu finden. Er hatte ungezählte gnostische Schlüssel umdrehen müssen, ehe er sein Dankgebet sprechen konnte. Es war wie bei einem Cembalospieler, der sich auch erst durch alle neunundzwanzig Goldbergvariationen quälen muss, bevor sich ihm die letzte, reine, unverfälschte Klangfülle offenbart, die Bach vorgeschwebt hat.
Das Einzige, was sein Vergnügen an diesen Reflexionen trübte, war der Gedanke an die, die ihm in den Arm fallen wollten. Aber da musste es denen, die seinem edlen Tun Einhalt gebieten wollten, erst mal gelingen, die sorgfältig verwischten Spuren aufzudecken, die bis in diesen Kellerraum führten. Es gab einen, der ihm besonders viel Ärger machte, aber den hatte er bereits für seine Neugier bestraft – auch wenn die Strafe nicht so unwiderruflich ausgefallen war, wie er es vorgehabt hatte. Nun, irgendwann würde sich wieder eine Gelegenheit bieten, und es gab viele Methoden, Störenfriede abzustrafen.
Er legte die Spritze beiseite und griff nach dem in Leder gebundenen Notizbuch. Augenblicklich breitete sich der moderige Geruch des Verfalls im Keller aus. Es verblüffte ihn jedes Mal, dass ausgerechnet das kleine Buch, in dem die Formel gegen den Verfall festgehalten war, eben diesem Verfall so unaufhaltsam preisgegeben war. Eine jener Ironien, mit denen das Leben uns gern irritiert.
Er blätterte die Seiten um, verweilte besonders liebevoll bei den Aufzeichnungen aus den ersten Jahren des mühseligen Suchens und Forschens, und als er schließlich bei den jüngstenEintragungen angekommen war, nahm er die Kappe
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