Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
sagte Nora trocken.
»Das Positive daran ist, dass sich schwierige Patienten in der Regel am schnellsten erholen. Mir tun nur die armen Schwestern Leid.« Der Arzt warf einen Blick auf seine Uhr.
»Sie können ihn übrigens jetzt besuchen. Zimmer fünfzehnnull-eins.«
Pendergast lag in einem schwarzen seidenen Schlafanzug im Bett, neben ihm stand eine Schwester, in der einen Hand eine Spritze, in der anderen ein Plastikschälchen mit Medikamenten. Auf dem Fernseher über seinem Bett waren drei weiß gekleidete Gerichtsmediziner dabei, einen blutigen Leichnam zu sezieren. Einer von ihnen hob gerade ein wabbelndes Gehirn aus dem offenen Schädel. Nora sah schnell weg.
»Mr. Pendergast«, sagte die Schwester streng, »ich bestehe darauf, dass Sie sich die Injektion geben lassen. Sie haben eine schwere Operation hinter sich, Sie brauchen Schlaf, damit Sie wieder zu Kräften kommen.«
Pendergast langte ungerührt nach einem angestaubten dicken Wälzer, blies den Staub weg, schlug das Buch auf und begann darin zu blättern. »Schwester, ich habe nicht die Absicht, mir irgendetwas spritzen zu lassen. Falls ich müde werde, schlafe ich schon von allein ein.«
»Dann muss ich den Arzt verständigen«, sagte die Schwester ungehalten und stürmte, an Nora vorbei, nach draußen. Nora zog sich einen Stuhl heran. »Sind Sie okay?« Pendergast nickte.
»Was ist denn passiert?«
»Ich war unvorsichtig.«
»Aber wer hat Sie denn mit dem Messer attackiert? Und wo und wann?«
»Ein Mann in einem schwarzen Anzug, mit einem Stock und einem Bowler. Draußen vor meinem Apartmenthaus.« Er griff zur Fernbedienung, schaltete den Apparat aus und legte das Buch weg. »Er hat versucht, mich zu chloroformieren. Ich habe den Atem angehalten, so getan, als würde ich ohnmächtig, und mich dann rasch seitlich weggerollt. Aber ich habe ihn unterschätzt, er war außergewöhnlich kräftig und behende. Er hat noch mit dem Messer auf mich eingestochen, dann ist er verschwunden.«
»Das hätte Ihren Tod bedeuten können.«
»Was wohl auch in seiner Absicht lag. Ich konnte gerade noch seine Hand ein Stück zur Seite stoßen. Was übrigens ein bewährter Trick ist – nur für den Fall, dass Sie mal in eine ähnliche Situation geraten.« Er beugte sich vorsichtig etwas vor. »Ich bin überzeugt, dass es derselbe Mann war, der Doreen Hollander und Mandy Eklund ermordet hat.« Und als Nora ihn verblüfft ansah: »Ich konnte kurz sein Messer sehen. Es war ein Skalpell mit gekrümmter Klinge. Chirurgen benutzen es zum Beispiel bei Eingriffen am Trommelfell.«
»Aber … warum ausgerechnet Sie?«
Pendergasts gequältes Lächeln verriet, dass er starke Schmerzen hatte. »Schwer zu sagen. Vielleicht eine zufällige Begegnung, vielleicht waren wir auch der Wahrheit ein bisschen zu nahe gekommen. So oder so, wir haben ihn jedenfalls aus der Reserve gelockt. Ein beachtlicher Fortschritt.« Er konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.
»Sie hätten sich das schmerzstillende Medikament spritzen lassen sollen«, hielt ihm Nora vor.
»Für das, was ich zu tun beabsichtige, brauche ich einen klaren Kopf. Jahrhundertelang gab es gar keine schmerzstillenden Mittel. Passen Sie lieber auf sich auf! Keine einsamenSpaziergänge am späten Abend und so. Ich habe wenigstens O’Shaugnessy als Leibwache.« Er drückte ihr ein Kärtchen in die Hand. »Rufen Sie ihn an, wenn Sie irgendetwas brauchen! Ich bin in ein paar Tagen wieder auf den Beinen. Übrigens, es wäre eine gute Idee, New York ein, zwei Tage den Rücken zu kehren. In Peekskill lebt eine reizende, immer zum Plaudern aufgelegte alte Dame. Sie würde sich über eine Besucherin sehr freuen.«
Nora seufzte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Ihnen nicht mehr helfen kann. Sie dagegen haben mir immer noch nicht verraten, was Sie an diesen alten Morden so fasziniert.« »Alles, was ich Ihnen jetzt sagen könnte, wäre Stückwerk. Ich brauche noch eine Weile, um noch mehr Teile dieses Puzzles zusammenzufügen. Aber eins versichere ich Ihnen, Dr. Kelly: Ich stochere nicht aufs Geratewohl im Nebel herum. Wir müssen unbedingt mehr über Enoch Leng herausfinden, wenn wir Menschenleben retten wollen.«
Nora sah ihn stumm an.
»Tun Sie’s für Mary Green, wenn Sie’s nicht für mich tun wollen.«
Nora stellte den Stuhl weg und wandte sich zur Tür um.
»Und noch etwas, Dr. Kelly. Ihr Smithback ist gar kein so übler Bursche. Meine Erfahrung sagt mir, dass man sich, wenn’s hart auf hart kommt,
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