Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
den Eingeborenen auf Madagaskar getötet worden war.«
»Alexander Marysas«, warf Nora ein.
»Sie scheinen bereits eine Menge darüber zu wissen«, sagte die alte Dame misstrauisch. »Ich hoffe, ich langweile Sie nichtmit meiner Erzählung.« Sie griff nach dem Kettchen und knipste das Licht wieder aus.
»Überhaupt nicht. Bitte, fahren Sie fort!«
»Das
Shottum’s
war ein recht stümperhaftes Kabinett. Mein Vater half Shottum hin und wieder, aber die Sammlung war sehr zufällig, ohne Systematik zusammengestellt, sie taugte nicht viel. Die Ausrichtung auf das ärmere Publikum, insbesondere die Jugend, brachte es mit sich, dass Shottum zu sehr auf Sensationen aus war. Es gab sogar eine Abteilung, die er ›Galerie des Widernatürlichen und Monströsen‹ nannte.
Ich glaube, er hat sich zu sehr von Madame Tussauds Schreckenskabinett inspirieren lassen. Ein ziemlicher Ramsch, aber Shottum wollte eben das Publikum aus der näheren Umgebung anlocken.«
Sie hüstelte in ihr Spitzentaschentuch. »Etwa zu dieser Zeit hat sich ein Mann namens Leng dem Bildungszirkel angeschlossen.« Und auf einmal klang ihre Stimme hasserfüllt.
»Enoch Leng.«
Nora spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. »Kannten Sie Leng?«
»Mein Vater hat oft von ihm gesprochen, besonders kurz vor seinem Ende. Sehen Sie, mein Vater hatte ein verletztes Auge und sehr schlechte Zähne. Leng verhalf ihm zu einer Silberbrücke und zu einer Brille mit ungewöhnlich dicken Gläsern. Offensichtlich besaß er Kenntnisse in der Heilkunde.«
Sie faltete das Taschentuch zusammen, stopfte es sich in den Ärmel und nahm noch einmal ein Schlückchen von ihrem Elixier. »Es wurde erzählt, er komme aus Frankreich, aus einem Bergstädtchen nahe der belgischen Grenze. Angeblich soll er ein Baron gewesen sein, jedenfalls stammte er aus einer vornehmen Familie. Unter Wissenschaftlern wird viel getratscht, müssen Sie wissen. New York war damals noch sehr provinziell, und Leng war durchaus eine eindrucksvolle Erscheinung. Er galt allgemein als gebildeter Mann. Er selbst hat sich übrigens Doktor genannt, es hieß, er sei Chirurg oderChemiker.« Sie hatte das Taschentuch offenbar zu früh weggesteckt, jedenfalls schaffte sie es nicht mehr, den leisen, nach Gemüseessig riechenden Rülpser zu unterdrücken.
Motten schwirrten durch die Luft, die Katze wollte gar nicht mehr aufhören zu schnurren.
Die alte Dame fuhr mit frisch geklärter Stimme fort: »Shottum suchte einen Kurator für sein Kabinett. Leng zeigte Interesse, obwohl er als Kurator des
Shottum’s
nicht gerade Ehre einlegen konnte. Wie auch immer, er mietete sich bei Shottum ein und bezog die Räume des obersten Stockwerks.«
»Wann war das?«
»Im Frühjahr 1870.«
»Wohnte er dort?«
Clara McFadden verzog das Gesicht. »Ein Mann seiner Herkunft hätte sich nie und nimmer in den Five Points niedergelassen. Aber wo er tatsächlich wohnte, wusste niemand, nicht mal mein Vater. Leng war sehr verschlossen. Er verbrachte seine Zeit hauptsächlich im Kabinett oder im Bildungszirkel. Soweit ich weiß, war er nur ein oder zwei Jahre für das Kabinett tätig. Er hat die Sammlung katalogisiert und jedes Stück genau beschrieben. Aber dann muss irgendetwas passiert sein, mein Vater hat nie in Erfahrung gebracht, was es war. Shottum scheint Misstrauen gegenüber Leng gehegt zu haben, er hätte ihm gern gekündigt, hat das aber immer wieder hinausgezögert. Leng zahlte eine ansehnliche Miete, und Shottum brauchte das Geld.«
»Mit welcher Art von Experimenten hat sich Leng eigentlich beschäftigt?«
»Ich nehme an, das hielt sich im üblichen Rahmen. Alle Männer mit wissenschaftlichen Interessen hatten seinerzeit ein eigenes Labor, mein Vater auch.«
»Sie sagten, Ihr Vater habe nie herausgefunden, was Shottum so misstrauisch gemacht hat? Das hätte bedeutet, dass er nie den an ihn gerichteten Brief gelesen hat, den Shottum im Geheimfach eines Elefantenfußes deponiert hat.«
»Das ist richtig. Mein Vater hat ihn nie danach gefragt. Shottum war ein ziemlich exzentrischer Mann, dem Opium zugetan und mit einer Neigung zur Melancholie. Mein Vater hat ihn wohl für einen geistig instabilen Mann gehalten. Und dann, an einem Sommerabend 1881, ist im Kabinett ein Feuer ausgebrochen. Angeblich im ersten Stock, ausgelöst durch eine defekte Gaslampe. Es hat so gewütet, dass kaum etwas übrig geblieben ist. Es hieß seinerzeit, von Shottum selbst seien nur ein paar verkohlte Knochen gefunden worden.« Ein
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