Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Dank, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben, Miss McFadden.«
Aber nun war es Clara McFadden, die plötzlich noch eine Frage stellte. »Warum graben Sie ausgerechnet jetzt diese alte Geschichte aus?«
Nora wurde schlagartig klar, dass die alte Dame weder einen der Zeitungsartikel gelesen noch etwas von den jüngsten Morden gehört haben konnte, bei denen die Presse den unbekannten Täter ja fast nur noch als »den Chirurgen« apostrophierte.Sie ließ den Blick durch den schummerigen, in angestaubtem viktorianischem Pomp erstarrten Raum huschen. Nein, sie wollte die alte Dame nicht aufregen und ihre Welt nicht durch eine ehrliche Antwort in Aufruhr versetzen. »Ich arbeite an einer Untersuchung über die alten Kuriositätenkabinette.«
In den Augen der alten Dame schien Feuer zu sprühen. »Ein interessantes Thema, Kind. Und womöglich ein gefährliches.«
11
Special Agent Pendergast lag reglos im Bett, nur seine Augen folgten Nora Kelly, als sie das Krankenhauszimmer verließ. Er warf einen Blick auf die Wanduhr: punkt neun Uhr abends, eine gute Zeit, um ans Werk zu gehen.
Er ließ im Geiste Revue passieren, was Nora ihm von ihrem Besuch in Peekskill erzählt hatte. Ihr Gespräch mit der alten Dame bestärkte ihn in dem seit langem gehegten Verdacht, dass Leng tatsächlich Shottum ermordet und, um alle Spuren zu tilgen, das Feuer im Kabinett gelegt hatte. Und zwar, nachdem der Hausherr die beiden Briefe verfasst und ihn zur Rede gestellt hatte. Und so lag die Vermutung nahe, dass er auch bei McFaddens rätselhaftem Verschwinden die Hand im Spiel gehabt hatte.
Blieb die Frage, warum er sich für seine mörderischen Aktivitäten ausgerechnet das Kuriositätenkabinett ausgesucht, was er sich von seinem kostenlosen medizinischen Engagement in den Arbeitshäusern versprochen hatte und wo er seinen teuflischen Experimenten nach dem Brand im
Shottum’s
nachgegangen war.
Serienmörder neigten nach Pendergasts Erfahrung zu Fehlern, sie wurden unvorsichtig und hinterließen Spuren. Bei Leng lagen die Dinge anders. Er war im Grunde kein typischerSerienmörder und zudem gerissen. Immerhin hatte er es fertig gebracht, nach der Feuersbrunst seine Spur so sorgfältig zu verwischen, dass niemand etwas Genaues über ihn wusste. Es musste natürlich Hinweise auf seinen Verbleib geben, aber er hatte so viele Informationen ausgestreut, dass die falschen kaum noch von den richtigen zu unterscheiden waren. Nachforschungen allein halfen in so einem Fall nicht weiter, es kam vielmehr darauf an, die vorhandenen Informationen so lange zu filtern und zu analysieren, bis sich die Umrisse eines hinlänglich gesicherten Bildes abzeichneten.
Nur, das Problem lag darin, dass es bei so lange zurückliegenden Morden zunehmend schwieriger wurde, zu einer objektiven Beurteilung zu kommen. Zudem merkte er, dass er sich immer emotionaler engagierte. Wenn er sich nicht streng an die Kandare nahm und seiner Arbeit mit der gewohnten Disziplin nachging, stand er am Ende mit leeren Händen da. So weit durfte es nicht kommen, es wurde Zeit, eine kleine Exkursion vorzubereiten.
Sein Blick huschte über die Bücher, Karten und alten Periodika, die sich in seinem Krankenzimmer inzwischen auf sechs Rollwagen stapelten. Die wichtigste Unterlage lag neben ihm auf dem Nachttisch: der Plan von Shottums Kabinett. Er nahm ihn zum wer weiß wievielten Mal zur Hand und prägte sich alle Details ein, bis er sich so sicher war, dass er das vergilbte Papier endgültig weglegen konnte.
Aber sosehr die Zeit auch drängte, er konnte noch nicht anfangen. Erst musste er etwas gegen die Kakophonie aus Geräuschen und Lauten unternehmen, die unablässig auf ihn eindrang. Nachdem sein Zustand stabil geworden war, hatte er sich eigenmächtig aus dem St. Luke’s-Roosevelt ins Lenox-Hill-Krankenhaus verlegt. Der alte Bau an der Lexiton Avenue hatte die dicksten Mauern der ganzen Stadt, vielleicht abgesehen von denen des Dakota. Aber sogar hier war er einem unerträglichen Geräuschpegel ausgeliefert. Er konnte sich unmöglich konzentrieren, solange das Messgerät für denSauerstoffgehalt im Blut penetrant piepste, die Schwestern auf dem Flur tratschten und klatschten, der Patient im Nebenzimmer schnarchte und im Stockwerk über ihm beharrlich irgendein Wunderwerk der modernen Gerätemedizin rumpelte. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder einmal Zuflucht zu der bewährten, aus dem
Chongg Ran
abgeleiteten buddhistischen Meditationsübung zu nehmen.
Er schloss
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