Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
genauso ergangen, wenn er an der Columbia Journalistik studiert hätte, statt seinen Job in Medicine Creek von der Pike auf zu lernen. Ihm war seinerzeit keine andere Wahl geblieben, aber er hatte den vermeintlich verpassten Chancen nie nachgetrauert. Und wenn er die Verzweiflung, den Eifer und das Gemisch aus Hoffnungen und Ängsten in den Augen des Jüngelchens las, wusste er, dass es das Schicksal eigentlich recht gut mit ihm gemeint hatte.
»Nun ja«, sagte er zögernd, »um Ihnen reinen Wein einzuschenken, Mr. Rickey…«
»Joe, bitte! Worum’s mir geht: Ich meine, es könnte ja sein, dass Sie mir aus der Patsche helfen können. Großes Ehrenwort, dass ich nichts davon veröffentliche, ehe Sie’s in Ihrem Blatt gebracht haben.«
»Alles schön und gut, Joe, nur, ich habe im Moment selber keine neuen Informationen.«
»Aber Sie kennen sicher Mittel und Wege, um sich welche zu beschaffen?«
»Versuchen werde ich’s jedenfalls.«
»Ich muss meinen Beitrag bis heute Nacht elf Uhr Bostoner Zeit abliefern.
Ludwig schielte auf die Uhr. In Kansas war es halb vier. Der Junge musste sich ranhalten.
In dem Moment flog die Tür auf, Corrie Swanson kam hereingestürmt. Ihr feuerroter Haarwulst wippte auf und ab, die klirrenden Ketten lieferten die Begleitmusik zu ihrem Auftritt. »Zwei große Eiskaffee zum Mitnehmen! Einer schwarz, der andere mit Zucker und einer doppelten Portion Sahne.« Ludwig beobachtete sie lauernd: eine Hand auf die Hüfte gestemmt, die Ellbogen seitlich abgespreizt, ungeduldig mitden abgezählten Münzen klappernd. Alle Gäste waren offensichtlich Luft für sie. Nun, immerhin arbeitete sie für Pendergast, sozusagen als sein weiblicher Freitag. Und nun holte sie zwei Eiskaffee zum Mitnehmen. Blieb die Frage, wohin sie die Becher mitnehmen wollte?
Und während Ludwig noch an einer plausiblen Antwort auf diese Frage herumrätselte, wurde ihm plötzlich klar, dass der FBI-Agent wieder mal sein Retter in der Not werden könnte.
Maisie stellte die beiden Becher auf den Tresen, Corrie legte ihr das Geld hin und ging.
Ludwig bedachte Joe Rickey mit einem verheißungsvollen Grinsen. »Dann wollen wir mal sehen, was ich tun kann.«
Er wollte ein paar Münzen auf den Tresen legen, aber Rickey winkte ab. »Ihr Kaffee geht auf mich. Und was ich noch sagen wollte, Mr. Ludwig: Vielen Dank im Voraus! Wirklich sehr nett von Ihnen. Ich warte hier auf Sie.«
Ludwig nickte und eilte los, um Corrie nicht aus den Augen zu verlieren.
35
Warum sehen eigentlich alle FBI-Gebäude gleich aus?, fragte sich Hazen, als er vor dem weißen Flachdachbau mit den getönten Fensterscheiben stand. Er stopfte das Hemd unter dem Gürtel fest, rückte den Hut zurecht und trat mit der Stiefelspitze den fast zu Ende gerauchten Glimmstängel aus. Auf dem Weg nach innen schlug ihm jenseits der Doppeltür ein Schwall eiskalter Luft entgegen, der zu einer anderen Jahreszeit den heftigen Protest aller Mitarbeiter ausgelöst hätte.
Hazen trug sich am Empfangstisch ein, steckte sich die Besucherplakette ans Revers und stapfte über den auf Hochglanz polierten Linoleumboden zu den Aufzügen. Zweiter Stock,zweiter Flur rechts, dritte Tür links…, wiederholte er im Geiste die Beschreibung, die man ihm gegeben hatte.
Die Fahrstuhltüren glitten auf, vor ihm erstreckte sich ein endlos langer Flur, dessen Wände voll regierungsamtlicher Erlasse und hauseigener Anordnungen waren. Die Türen, an denen er vorbeikam, standen offen, die Frauen und Männer in den Büros trugen weiße Laborkittel. Gott im Himmel, so viele Verbrechen konnte es doch in Kansas gar nicht geben! Was hatten die Weißkittel bloß den ganzen Tag zu tun?
Schließlich hatte er sich bis zu der – natürlich ebenfalls offenen – Tür vorgearbeitet, deren Plastikschildchen ihn darüber aufklärte, dass er vor dem Büro von »J. Paulson, Special Agent vom Dienst« stand. Eine Frau, deren modische Brille ihrem Gesicht etwas Katzenhaftes verlieh, tippte irgendetwas in affenartiger Geschwindigkeit in den Computer ein. Irgendwann sah sie kurz hoch, winkte Hazen herein und deutete stumm auf das hinter dem Vorzimmer gelegene Büro des Agent.
Paulsons Büro wirkte genauso steril wie die anderen, an denen Hazen vorbeigekommen war, aber die beiden gerahmten Fotos auf dem Schreibtisch gaben ihm immerhin so etwas wie eine persönliche Note. Das eine zeigte den Agent im Reiterdress und hoch zu Ross, auf dem anderen war er im trauten Kreis der Familie zu sehen.
Der Agent stand
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