Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Verzweiflung die Idee, mit einem Sprung den linken Straßengraben zu überwinden und dann genauso unsichtbar zu werden wie der andere, indem er dort in das Maisfeld eindrang. Aber als Stott, bevor er zwischen den Stängeln verschwand, kurz einen Blick zurückwarf, sah er einen dunklen Schatten in verblüffendem Tempo die Straße überqueren.
Verdammt, nun hatte er seinen Verfolger direkt im Nacken! Er jagte mit keuchendem Atem wie von Furien gehetzt durch das Maisfeld, trotzdem bekam er mit, dass das Rascheln hinter ihm anhielt und sogar immer näher kam. Er schlug einen Haken, bog im rechten Winkel nach links ab, blieb stehen und lauschte.
Das Rascheln hinter ihm hörte auf. Aha, er hatte seinen Verfolger abgeschüttelt, sein Plan war aufgegangen.
Bloß, wo war er? Der Instinkt sagte ihm, dass er eigentlich nur der leichten Krümmung folgen musste, die die Stängel jetzt beschrieben. Ein Indiz dafür, dass sie zum Bachufer führten, und von dort war’s dann nur noch eine halbe Meile bis nach Medicine Creek…
Hinter sich hörte er hastig patschende Tritte. Und ein verhöhnendes, rhythmisches »Muuh-Muuh-Muuh!«. Verflucht, der Kerl kam ihm immer näher!
»Hau ab, verdammt noch mal!«, schrie Stott.
»Muuhmuuhmuuh!«
Stott meinte, schon den Atem des Verfolgers im Nacken zu spüren. In seiner Ratlosigkeit wechselte er mehrere Male hektisch die Richtung, aber was er auch versuchte, der Abstand wurde geringer. Stott verlor die Kontrolle über seine Körperfunktionen, seine Blase entleerte sich, er spürte, wie ihm der Urin warm an den Schenkeln entlangrann.
»Muuhmuuhmuuh!«
Finger – oder waren es Krallen? – grapschten nach seinem Haar. Er versuchte, den Kopf seitlich wegzudrehen, aber dann durchzuckte ihn ein irrsinniger Schmerz, als wäre sein Hals in einem Schraubstock gefangen.
»Hilfe!«, schrie er verzweifelt. »Helft mir doch! Warum hilft mir denn niemand?«
Eine übermenschliche Kraft drehte ihm den Hals um. Und plötzlich war ihm, als finge er zu schweben an. Das Letzte, was er bei seinem rasanten Flug in den Nachthimmel hörte, war eine triumphierende Stimme, deren nicht enden wollendes »Muuhmuuhmuuhmuuhmuuhmuuhmuuhmuuh« ihm wie die Posaune des Jüngsten Gerichts in den Ohren gellte.
19
Smit Ludwig schloss die Tür der Redaktion hinter sich zu und steckte den Schlüssel ein. Als er die Straße überquerte, warf er kurz einen Blick zum Morgenhimmel. Seit gut zwei Wochen zuckten am nördlichen Horizont Nacht für Nacht die lautlosen Blitze eines Wetterleuchtens, sobald aber der Morgen graute, hörte der Spuk auf. Sobald die Hitzewelle vorbei war, mussten sie sich auf heftige Stürme gefasst machen. Vorläufig sah es jedoch nicht danach aus, dass die mörderische Hitze ihren Würgegriff lockerte.
Ludwig konnte sich gut vorstellen, worüber Art Ridder und der Sheriff mit ihm reden wollten. Aber er hatte den Artikel über den verstümmelten Hund bereits geschrieben, und jetzt ging er auch in Druck, da biss keine Maus einen Faden ab.
Die Hitze fraß sich regelrecht durch seine Schuhsohlen, sein Schädel fühlte sich an wie unter einer Bleihaube. Maggs Kerzenpalast, wie er den
Castle Club
insgeheim nannte, war zwar nur fünf Gehminuten entfernt, aber er bedauerte schon, dass er nicht den Wagen genommen hatte. Bis er ankam, war er bestimmt völlig durchgeschwitzt. Blieb ihm nur der tröstliche Gedanke an Maggs auf arktische Temperaturen heruntergekühlte Clubräume.
Und richtig, als er die Tür aufstieß, schlug ihm sibirische Kälte entgegen. Zu so früher Stunde lag schummeriges Halbdunkel über dem
Castle Club,
nur ganz hinten, wo Art Ridder und Sheriff Hazen saßen, brannten ein paar Lampen. Ludwig nestelte an seinem zerknautschten Hemdkragen herum, drückte das Kreuz durch, kniff die Lippen zusammen und steuerte auf die einsame Lichtinsel zu.
Der
Castle Club
versuchte angestrengt, das Image eines gehobenen Speiserestaurants zu vermitteln, und wenn man nicht allzu genau hinsah und keinen Anstoß an den roten Kunstledersesseln und den auf Echtholz getrimmten Plastiktischchennahm, gelang das Täuschungsmanöver sogar. Art Ridder und der Sheriff unterhielten sich mit gedämpfter Stimme.
Als Ridder den Reporter kommen sah, stand er auf, winkte ihn an ihren Tisch und rückte ihm einladend einen Sessel zurecht.
»Smitty! Schön, dass Sie gekommen sind!« Der Sheriff war nicht aufgestanden, er bedachte Ludwig nur mit einem beiläufigen Kopfnicken.
Ridder winkte die Bedienung heran. »Em, bring
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