Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
oder klein, reich oder arm, er klopft bei uns allen an. Die Leute im Mittelalter waren sich dessen bewusst. Auch unsere eigenen Vorfahren wussten das noch. Schaut euch alte Grabsteine an. Dort ist der Tod als geflügeltes Wesen dargestellt, und darunter stehen manchmal die Worte: Memento mori. Gedenke, du wirst sterben! Es wundert mich, wie einfältig wir versuchen, die fundamentalsten Wahrheiten zu verdrängen.«
Harriman konnte es kaum fassen, sein Glück blieb ihm tatsächlich treu. Dieser Buck war ein Geschenk des Himmels! Die Menge wuchs rasch an, und die Leute bedeuteten den Nebenstehenden ruhig zu sein, damit sie jedes Wort verstanden, das der Mann mit leiser, überzeugender Stimme von sich gab. Dieser Buck brauchte keine Bibel für seine Predigt – wahrscheinlich kannte er das ganze Teil auswendig. Harriman nahm unauffällig sein Aufnahmegerät aus der Hemdtasche und schaltete es ein.
Der Prediger erinnerte seine Zuhörer daran, dass jeder Tag, an dem sie sich nicht bemühen, Gottes Willen zu tun, ein unwiederbringlich verlorener Tag sei. Er sprach von den guten Werken, mit denen sie sich einen Platz im Himmel verdienen könnten, und von der Gleichgültigkeit, mit der viele Christen genauso blind durchs Leben gingen wie seinerzeit die römischen Legionäre, die gleichgültig zusahen, wie Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Und immer wieder kam er auf den Tod zu sprechen, auf dessen Unausweichlichkeit und darauf, dass trotzdem die meisten Menschen versuchten, jeglichen Gedanken an den Tod zu verdrängen. Harriman versuchte mit allen Tricks, näher an Buck heranzukommen, aber die Menge wich und wankte nicht, sodass ihm nichts übrig blieb, als dem Prediger doppelt aufmerksam zuzuhören, damit er nichts verpasste.
Buck erzählte davon, dass er in jungen Jahren seinen Geldbeutel als Gehilfe bei Einäscherungen ein wenig aufgebessert habe. »Könnt ihr euch überhaupt vorstellen, wie es ist, wenn ein Mensch verbrennt? Welche enormen Temperaturen dafür notwendig sind? Oder was passiert, wenn ein Leichnam von einer dreihundert Grad heißen Flamme erfasst wird? Ihr wollt es vielleicht gar nicht wissen, aber ich kann’s euch nicht ersparen, liebe Freunde. Zuerst sind es die Haare – und zwar am ganzen Körper –, die sich zischend in scharf riechenden blauen Rauch auflösen. Danach passiert etwas sehr Merkwürdiges: Der Körper versucht sich aufzurichten. Stellt es euch vor. Er liegt in einem Sarg und versucht, sich dennoch aufzurichten! Derweil erreicht die Temperatur vierhundert Grad, das Knochenmark fängt zu brodeln an, und die Knochen selbst beginnen laut zu zersplittern. Doch die Temperatur steigt weiter – fünfhundert Grad, siebenhunderfünfzig, tausend … in den Tiefen der Brennkammer scheint ein Inferno zu toben, man hört ein Prasseln wie von Gewehrfeuer, und es dauert drei Stunden, bis der Körper nichts mehr ist als Asche und ein paar Knochensplitter.
Warum ich euch mit diesen grausigen Details nicht verschont habe, meine Brüder und Schwestern? Ich will es euch sagen. Weil Luzifer, der Fürst der Dunkelheit, euch auch nicht verschonen wird. Und die Feuer des Krematoriums sind eine milde Brise verglichen mit dem Höllenfeuer, das diejenigen erwartet, die nicht umkehren auf ihrem Weg der Sünde und zu unserem Herrn Jesus Christus finden. Deshalb stehe ich hier, Schwestern und Brüder, am Fuß dieses hoch aufragenden, von Reichtum und Luxus kündenden Gebäudes, weil Luzifer sich in ihm, mitten in dieser großen Stadt, eine verlorene Seele geholt hat: einen Mann namens Cutforth. So wie es in der Offenbarung des Johannes geschrieben steht: Am Ende aller Tage wird Luzifer offen auf dieser Welt wandern. Ich sage euch, er ist gekommen. Der Tote draußen in Long Island, der Tote hier: Dies ist erst der Anfang. Aber noch ist es nicht zu spät, meine Freunde. Der Herr hat uns Zeichen gesetzt und den Weg zur Rettung unserer Seele gewiesen. Darum rufe ich euch auf, still in euch hineinzuhorchen, damit ihr euch selbst ein Urteil bilden könnt, wie es um euer Seelenheil bestellt ist. Nehmt euch Zeit, hört auf eure innere Stimme. Und später, wenn wir alle nachgedacht haben, wollen wir gemeinsam beten.«
Ohne den Blick von Buck zu wenden, griff Harriman zu seinem Handy und sprach leise mit der Fotoabteilung. Es war Kleins Schicht und der verstand sofort, worauf es Harriman ankam. Keine Karikatur eines Bibel schwingenden Predigers. Genau das Gegenteil. Harriman würde Reverend Buck als jemanden darstellen,
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