Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
nicht glauben, aber hier oben in Kanada gibt es so etwas wie Schulpflicht.«
D’Agosta schluckte. Es war Freitag, kurz vor Mittag, da hätte ihm das klar sein müssen. »Das habe ich vergessen.«
»Sieht dir ähnlich. Du hast ja sogar vergessen, ihn an seinem Geburtstag anzurufen.«
»Ich hab’s versucht, aber du hattest offenbar den Hörer ausgehängt.«
»Das war ich nicht, der Hund macht das manchmal. Aber du hättest ja eine Karte oder ein Geschenk schicken können.«
»Ich habe eine Karte und ein Geschenk geschickt!«
»Ja, aber beides ist erst am Tag danach angekommen.«
»Ich habe es zehn Tage vor seinem Geburtstag abgeschickt, Himmel noch mal! Du kannst mich doch nicht dafür verantwortlich machen, dass die Post so lange braucht!« Er atmete tief durch. »Also gut, ich rufe heute Abend noch mal an.«
»Vincent trifft sich mit ein paar Freunden.«
»Gut, dann rufe ich morgen früh an.«
»Ich weiß nicht, ob du ihn da erreichst. Er hat vor …«
»Dann sag ihm, er soll mich anrufen!«
»Denkst du, wir können uns von dem bisschen Geld, das du uns schickst, teure Ferngespräche leisten?«
»Du weißt, dass ich dir nicht mehr schicken kann. Im Übrigen hält dich niemand davon ab, wieder hierher zu kommen.«
»Vinnie, du hast uns die Hölle heiß gemacht, bis wir endlich nach Kanada gezogen sind. Wir wollten das nicht. Aber inzwischen ist etwas Erstaunliches passiert: Ich hab mich hier eingewöhnt, mir gefällt es hier. Und Vincent geht’s genauso. Und nachdem wir uns endlich hier wohl fühlen, willst du auf einmal, dass wir wieder nach Queens ziehen. Aber da bringen mich keine zehn Pferde mehr hin, das sage ich dir!«
D’Agosta schwieg. Es wurde genau das Gespräch, das er nicht führen wollte. Mit seinem Anruf hatte er alles verdorben. Dabei hatte er doch nur mit seinem Sohn sprechen wollen.
»Lydia, wir können uns in Ruhe eine Lösung überlegen, die für alle …«
»Du und deine Lösungen! Es wird allmählich Zeit …«
»Bitte sag’s nicht, Lydia!«
»Von dir lass ich mir den Mund nicht mehr verbieten. Es wird allmählich Zeit, dass du die Dinge siehst, wie sie sind. Die einzig vernünftige Lösung ist die Scheidung!«
D’Agosta legte langsam den Hörer auf die Gabel. Zwanzig Jahre, und von heute auf morgen war alles vorbei. Er hatte das Gefühl zu ersticken. Er wollte nicht darüber nachdenken. Er musste seinen Job erledigen.
Das Polizeipräsidium von Southampton war in einem hübschen, wenn auch in die Jahre gekommenen alten Holzhaus untergebracht, dem ehemaligen Slate Rock Country Club. Die jetzigen Hausherren hatten allerdings keine Mühe gescheut, den Charme der alten Zeiten mit Hilfe von Linoleumfußböden und dem typischen Behördengrau an den Wänden ein für alle Mal vergessen zu lassen.
D’Agosta verspürte ein mulmiges Gefühl im Magen. Er war seit drei Tagen von Pendergast derart mit Aufträgen eingedeckt worden, dass er einfach keine Zeit gehabt hatte, sich persönlich hier blicken zu lassen. Stattdessen hatte er den Lieutenant telefonisch auf dem Laufenden gehalten. Die Kollegen, denen er auf dem Weg zu Braskie begegnete, reagierten ausgesprochen kühl auf sein Kopfnicken. Er war bei ihnen nicht besonders beliebt, weil er nicht in den Bowling Club eintreten wollte und sich nur selten im Tiny’s sehen ließ, um einen zur Brust zu nehmen oder eine Runde Darts zu spielen. Southampton war für ihn von Anfang an nur Durchgangsstation auf seinem Heimweg nach New York gewesen, und er hatte es nicht für nötig befunden, Freundschaften zu schließen. Vielleicht erwies sich das jetzt als Fehler. Er klopfte an der Glastür, auf der mit goldenen, schwarz gerandeten Buchstaben BRASKIE stand. Von drinnen rief eine Stimme, die markig zu klingen versuchte: »Ja!«
Der Lieutenant saß an seinem zerschrammten Metallschreibtisch, neben sich einen Stapel Zeitungen, die – von der Post und der Times bis zum East Hampton Record – auf der Titelseite allesamt über den Mord an Grove berichteten. Braskie sah übernächtigt aus, mit dunklen Ringen unter den Augen. D’Agosta hätte beinahe Mitleid mit ihm gehabt. Braskie winkte ihn herein. »Gibt’s was Neues?«
D’Agosta brachte ihn auf den neuesten Stand. Braskie hörte zu, und am Schluss fuhr er sich seufzend mit der Hand durch das vorzeitig schütter werdende Haar. »Morgen kommt der Chief zurück, und wir haben praktisch keine brauchbaren Informationen. Absolut nichts, worauf wir aufbauen könnten! Keine Spuren, nicht
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