Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
Leselampe.
Letitia Dallbridge griff zornig zum Telefon und rief abermals die Rezeption an.
»Ja, Mrs Dallbridge?«
»Jetzt tropft es aus dem Apartment über mir! Durch die Decke!«
»Wir schicken sofort jemanden hoch, damit in 17-B das Wasser abgestellt wird.«
»Das ist unerhört! Meine wunderschöne englische Steppdecke ist bereits völlig durchnässt! Sie ist ruiniert! «
Die Flüssigkeit tropfte inzwischen an mehreren Stellen von der Decke, sie rieselte auf ihren venezianischen Kronleuchter, und die Louis-Quinze-Sessel und die Chippendale-Kommode hatten auch schon etwas abbekommen. Gegen besseres Wissen beugte sie sich über ihre Teetasse und fischte einen kleinen bräunlichen Klumpen heraus. Er fühlte sich warm und fettig an, ähnlich wie Talg oder Kerzenwachs.
»Es ist kein Wasser«, schrie sie erregt ins Telefon, »es ist irgendetwas Fettiges!«
»Fettig, sagen Sie?«
»Ja, fettig! Und es tropft aus dem Apartment über mir!«
Sie hörte, wie der Portier und seine Kollegen sich bei abgedecktem Hörer aufgeregt und etwas atemlos berieten. Dann war Jason wieder am Telefon. »Wir haben inzwischen mehrere Meldungen bekommen, Mrs Dallbridge. Hören Sie bitte gut zu: Im Apartment über Ihnen scheint ein Feuer ausgebrochen zu sein. Verlassen Sie auf keinen Fall Ihre Wohnung. Falls Rauch unter Ihrer Eingangstür eindringt, verstopfen Sie die Ritze bitte mit einem feuchten Handtuch. Wir unterrichten Sie umgehend, sobald wir …«
Weiter kam er nicht, das unerträglich schrille Heulen des Feuermelders im Flur schnitt ihm das Wort ab. Und fast im selben Augenblick schlug quäkend der Feuermelder in ihrem eigenen Apartment an. Letitia Dallbridge ließ den Telefonhörer fallen und hielt sich die Ohren zu. Im nächsten Moment sprang auch schon die Sprinkleranlage an. Es war nur eine Frage von Minuten, bis ihre Wohnung kniehoch unter Wasser stand. Ihr Schock war so groß, dass sie sich nicht von der Stelle rührte.
21
Der Gestank, der ihm schon an der Wohnungstür entgegenschlug, ließ D’Agosta Schlimmes ahnen. Beim Betreten der Lobby des Apartmenthauses hatte er noch halb geschlafen, aber jetzt war er hellwach. Bemerkenswert, wie dieser Gestank alle anderen Empfindungen verdrängte – die Müdigkeit, die er um zwei Uhr früh üblicherweise verspürte, das Reißen in seinen Gliedern, den stechenden Schmerz seiner aufgeschürften Knie und das Hautjucken, das von den Brennnesseln herrührte, durch die er sich auf seiner Flucht vor den Killern geschlagen hatte.
Während seiner Zeit bei der New Yorker Polizei war D’Agosta schon an vielen Tatorten gewesen, an denen jemand gewaltsam ums Leben gekommen war, aber was er hier sah, verschlug ihm den Atem. Der Leichnam war vom Schamhaar bis zum Brustkorb aufgerissen, die inneren Organe waren herausgequollen und offensichtlich verbrannt. D’Agosta fasste unwillkürlich an das Kreuz, das er unter dem Uniformhemd trug. Er war weder sonderlich fromm noch abergläubisch, aber wenn es den Teufel gab, dann musste das sein Werk sein. Er schielte zu Pendergast hinüber und stellte erstaunt und zugleich erleichtert fest, dass der Agent noch blasser als sonst aussah. Die Jungs von der Spurensicherung hatten ihre Arbeit bereits beendet, nur der, den die Kollegen halb bedauernd, halb spöttisch den ›Fingernagel-Picker‹ nannten, war noch dabei, Gewebefasern, Haare und was es sonst an Unappetitlichem gab, in Reagenzgläser und Plastiktütchen zu sammeln. Er war mit Sicherheit der Abgebrühteste im Team, aber heute sah selbst er ein wenig grün aus.
Der Gerichtsmediziner steckte den Kopf durch die Tür und fragte: »Fertig?«
»Leider noch nicht, aber lange brauche ich nicht mehr.«
Der Gerichtsmediziner wollte wieder gehen, als Pendergast ihm seine Marke zeigte. »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Doktor?«
»Schießen Sie los.«
»Können Sie schon etwas über die Todesursache sagen?«
»Noch nicht endgültig. Verbrennungen, das ist klar, aber mehr weiß ich noch nicht.«
»Wurden Brandbeschleuniger verwendet?«
»Soweit wir bis jetzt wissen, nein. Es gibt allerdings einige Ungereimtheiten. So können wir keinerlei Verkrampfung der Armmuskulatur feststellen, wie sie üblicherweise bei so schweren Verbrennungen auftritt. Beachten Sie auch die durch Hitze verursachten Knochenbrüche an den Extremitäten. In der Nähe des Rumpfes sind die Knochen regelrecht kalziniert. Haben Sie eine Vorstellung, wie stark ein Feuer sein muss, um solchen Schaden anzurichten? Und
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