Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
volllud. Zu seiner Überraschung sah er aus dem Augenwinkel, dass sich Viola einen nicht weniger ungehörigen Berg aufhäufte; offenbar achtete sie also ebenso wenig auf gute Manieren wie er.
Sie fing seinen Blick auf und errötete leicht. »Ich habe seit gestern Abend nichts mehr gegessen. Ich musste nonstop arbeiten.«
»Langen Sie nur kräftig zu!«, sagte Smithback und häufte sich noch eine ordentliche Portion Kaviar auf, hocherfreut, in ihr eine Gleichgesinnte gefunden zu haben.
Plötzlich spielte das kleine Orchester am Ende der Halle einen Tusch, und die Gäste applaudierten, als Hugo Menzies, der in seinem weißen Frack blendend aussah, das Podium neben dem Orchester bestieg. Dann wurde es still im Saal, während Menzies mit seinen strahlend blauen Augen über die Anwesenden blickte. »Meine Damen und Herren«, sagte er. »Ich werde Ihnen heute Abend keine lange Rede zumuten, denn wir haben eine weitaus interessantere Unterhaltung geplant. Lassen Sie mich lediglich eine E-Mail verlesen, die ich vom Grafen von Cahors erhielt, der das alles hier mit seiner außerordentlich großzügigen Spende möglich gemacht hat:
Meine lieben Damen und Herren,
ich bedauere es zutiefst, an den Feierlichkeiten anlässlich der
Wiedereröffnung des Grabes des Senef nicht gemeinsam mit
Ihnen teilnehmen zu können. Ich bin ein alter Mann und kann
nicht mehr reisen. Aber ich werde mein Glas auf Sie erheben
und wünsche Ihnen einen spektakulären Abend.
Mit freundlichen Grüßen,
Le Comte Thierry de Cahors«
Das kurze Schreiben des einsiedlerischen Grafen wurde mit donnerndem Applaus bedacht. Als dieser verebbt war, setzte Menzies seine kleine Ansprache fort.
»Und nun«, sagte er, »habe ich das Vergnügen, Ihnen die große Sopranistin Antonella da Rimini als Aida vorzustellen, die Ihnen zusammen mit dem Tenor Gilles des Montparnasse als Radames Arien aus der Schlussszene aus
Aida
singen werden;
La fatal pietra sovra me si chiuse
wird auf Englisch gesungen, für diejenigen, die kein Italienisch verstehen.«
Noch mehr Applaus. Eine stark geschminkte, enorm dicke Frau in einem pseudoägyptischen Kostüm, das schier zu platzen drohte, betrat die Bühne, gefolgt von einem nicht minder kräftigen Mann in ähnlicher Tracht.
»Viola und ich müssen gehen«, flüsterte Nora Smithback zu, »wir sind als Nächste dran.« Dann drückte sie ihm kurz die Hand und verschwand, mit Viola im Schlepptau, in der Menge. Noch ein donnernder Applaus wogte durch den Saal, als der Dirigent die Bühne betrat. Smithback staunte über die Begeisterung der Gäste – die hatten doch kaum die Zeit gehabt, ein Gläschen zu trinken. Als er sich, einen Blini mampfend, umsah, wunderte er sich über die vielen bekannten Gesichter: Senatoren, Industriekapitäne, Filmstars, Stützen der Gesellschaft, ausländische Würdenträger und natürlich sämtliche Kuratoriumsmitglieder und diverse hohe Tiere. Wenn jemand eine Bombe auf den Laden werfen würde, dachte Smithback maliziös, würde das nicht nur nationale, sondern globale Auswirkungen haben.
Es wurde dunkler, der Dirigent hob den Taktstock, das Publikum verstummte. Dann stimmte das Orchester ein schmerzlich-sehnsüchtiges Motiv an, und Radames sang:
Es hat der Stein sich über mir geschlossen.
Vor mir seh ich mein Grab. Das Licht des Tages
Schau ich nicht mehr, schau nimmermehr Aida.
Aida, wo bist du? Ach, könntest du doch
Glücklich nur sein, blieb ewig dir verborgen
Mein furchtbar Los! Welch Seufzerlaut! Eine Larve,
Ist es ein Geist? Nein, nein, ein menschlich Antlitz!
Oh, Aida!
Und nun sang die Diva:
Ich bin es.
Smithback, ein ausgemachter Opernhasser, bemühte sich, die Ohren vor der kreischenden Stimme zu verschließen, und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den reichgedeckten Tischen zu. Er drängte sich durch die Menge und nutzte die vorübergehende Flaute im Sturm aufs kalte Büfett, um ein halbes Dutzend Austern auf seinen Teller zu häufen; außerdem plazierte er darauf zwei dicke Scheiben Camembert, die er aus einem überreifen französischen Rundkäse herausschnitt, dazu mehrere papierdünne Scheiben Schinken sowie zwei Scheiben Rinderzunge. Den wackligen Stapel balancierend, ging er zum nächstgelegenen Tisch, schnappte sich ein zweites Champagnerglas und bat den Barkeeper, es bis zum Rand voll zu schenken, damit er nicht so schnell zurückkommen musste, um es nachfüllen zu lassen. Dann ging er zu einem der von Kerzenschein erhellten Tische, um seine Beute in Ruhe zu genießen. Ein
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