Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
wurde.
»Aufhören zu schieben!«, rief sie, aber niemand hörte mehr zu. Viola, neben ihr, bat ebenfalls um Ruhe, doch auch ihre Worte gingen in der Panik der Menge und den tiefen Brummgeräuschen, die die Grabkammer erfüllten, unter. Die Stroboskoplichter blitzten weiter, wobei jeder Blitz eine kurze, blendende Lichtexplosion in dem Nebel auslöste. Und mit jedem Blitz fühlte sich Nora merkwürdiger, schwerer … fast betäubt. Das war nicht nur Angst, die sie da spürte, sondern etwas anderes. Was passierte mit ihrem Kopf?
Die Menge drängte auf die Halle der Streitwagen zu, eine gedankenlose, animalische Panik hatte sie ergriffen. Nora hielt sich mit aller Kraft an Violas Hand fest. Plötzlich mischte sich in die tiefen Brummgeräusche ein bislang unbekannter Laut – ein hoher, klagender Ton an der Schwelle der Hörbarkeit, er senkte und hob sich wie das Klagen einer Todesfee. Der rasiermesserscharfe Schrei verwirrte Noras Geist wie ein Schuss und steigerte das merkwürdige Gefühl der Fremdheit, das von ihr Besitz ergriffen hatte. Ein weiteres Wogen der Menge führte dazu, dass sie Violas Hand verlor.
»Viola!«
Wenn Viola ihr geantwortet hatte, so war es in dem Tumult untergegangen.
Mit einem Mal ließ der Druck rings um Nora herum nach – als wäre plötzlich ein Korken entfernt worden. Sie keuchte, holte tief Luft, schüttelte den Kopf, um wieder klarer denken zu können. Der Nebel in der Grabkammer schien das Gegenstückzu einem anderen zu sein, einem, der sich in ihrem Kopf ausbreitete.
In der Düsternis vor Nora tauchte ein Pfeiler auf. Sie hielt sich daran fest, erkannte ein Flachrelief. Plötzlich wusste sie, wo sie sich befand. Direkt vor ihr lag die Tür zur Halle der Streitwagen. Wenn sie doch nur dort hineinkommen könnte, raus aus diesem infernalischen Nebel …
Sie drückte sich flach gegen die Wand, dann tastete sie sich daran entlang, hielt sich aus der panischen Menge heraus, bis sie die vor ihr liegende Tür erkennen konnte. Mehrere Leute zwängten sich dort hindurch, sie rangelten und drängelten, rissen einander an der Kleidung, bildeten einen verdammten Flaschenhals des Wahnsinns und der Panik. Wieder dieses grotesk-tiefe Dröhnen aus den versteckten Lautsprechern, dazu eine Steigerung des todesfeeartigen Wehklagens. Unter dieser Lärmattacke verspürte Nora einen jähen Schwindel, so als würde sie in eine Tiefe hinabgezogen; jene Art von furchtbarem Schwindel, den sie manchmal bekam, wenn sie hohes Fieber hatte. Sie taumelte und versuchte, sich auf den Beinen zu halten. Jetzt hinzufallen konnte das Ende bedeuten.
Sie hörte einen Ruf und erblickte durch den wirbelnden Nebel eine Frau auf dem Boden liegen. Instinktiv beugte sich Nora vor, packte die ausgestreckte Hand der Frau und zog sie hoch. Ihr Gesicht war blutverschmiert, ein Bein in groteskem Winkel abgeknickt und offenkundig gebrochen – aber sie lebte noch.
»Mein Bein«, stöhnte die Frau.
»Legen Sie den Arm um meine Schulter!«, schrie Nora.
Nora drängte sich in den Strom der Menschen, und so wurden sie beide durch den Durchgang in die Halle der Streitwagen mitgerissen. Ein fürchterlicher, kaum auszuhaltender Druck … und plötzlich hatten sie Platz um sich herum. Desorientiert schauten sich die Leute um, mit zerrissenen, blutverschmierten Kleidern, wimmernd, nach Hilfe kreischend.
Die Frau sackte gegen Noras Schulter wie ein nasser Sack. Hier blieben sie wenigstens von diesem mörderischen Trommelfeuer verschont …
Hatte sie gedacht. Aber merkwürdigerweise waren sie weder den Geräuschen noch dem Nebel oder den Stroboskoplichtern entronnen. Ungläubig blickte Nora sich um. Der Nebel stieg weiterhin schnell an, und noch mehr Lichter blitzten von der Decke – erbarmungslose, blendende Lichtexplosionen, von denen jede Noras Gedanken noch ein wenig mehr zu benebeln schien.
Viola hat recht,
dachte sie verschwommen und verwirrt. Das hier war keine Fehlfunktion. Im Drehbuch waren keine Stroboskoplichter, keine Nebel in der Halle der Streitwagen vorgesehen; nur in der eigentlichen Grabkammer.
Das hier war geplant – ganz bewusst.
Nora griff sich mit einer Hand an den pochenden Kopf und drängte die Frau weiter, schleppte sie mühsam voran, auf den
Zweiten Reiseabschnitt des Gottes
und den dahinter liegenden Grabausgang zu. Doch wieder versperrte ein Menschengewühl die schmale Tür.
»Einer nach dem anderen!«, schrie Nora.
Direkt vor ihr wollte sich ein Mann gerade einen Weg durch die Menge bahnen. Mit
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