Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
wie möglich und versuchte dadurch, die Wunde abzubinden.
Blut würde Aufmerksamkeit erregen.
Während sein Schwächeanfall allmählich verebbte, und Diogenes nach dem Schrecken des Angriffs wieder zu Sinnen kam, wurde ihm klar, dass sich ihm neue Möglichkeiten boten. Er hatte sie am Kopf erwischt, so dass sie zweifellos stark blutete, wie das bei allen Kopfverletzungen der Fall war. Sie konnte eine solche Schnittwunde und das Blut nicht ohne weiteres verbergen, nicht einmal unter einem Schal. Wenn ihr Blut übers Gesicht lief, konnte sie ihn nicht durch ganz Florenz verfolgen. Sie musste sich irgendwohin zurückziehen, sich säubern. Und dadurch bot sich ihm die Chance, ihr zu entfliehen, sie abzuschütteln – für immer.
Jetzt galt es. Wenn es ihm gelang, sie abzuschütteln, konnte er sich eine neue Identität zulegen, mit deren Hilfe er an sein letztes Ziel gelangte. Dort würde sie ihn niemals aufspüren – niemals.
So lässig wie möglich schlenderte er durch die Straßen zu dem Taxistand am Ende des Borgo San Jacopo. Im Gehen spürte er, wie das Blut seine Kleidung durchtränkte und an seinem Bein hinabrann. Die Schmerzen waren nicht sehr stark, und er war sicher, dass sich die Schnittwunde lediglich oberflächlich am Brustkorb entlangzog, ohne dass lebenswichtige Organe verletzt worden waren.
Allerdings musste er etwas gegen das Blut unternehmen, und zwar schleunigst.
Er bog in ein kleines Café an der Ecke Tegolaio und Santo Spirito, stellte sich an den Tresen und bestellte einen Espresso und eine
spremuta.
Rasch trank er beides aus, eins nach dem anderen, ließ einen Fünf-Euro-Schein auf den Tresen fallen und gingzur Toilette. Rasch sperrte er hinter sich ab und öffnete seinen Regenmantel. Er erschrak, als er das viele Blut sah. Rasch tastete er die Wunde ab, um sicherzugehen, dass der Hieb nicht das Zwerchfell durchstoßen hatte. Mit einigen Papierhandtüchern wischte er möglichst viel von dem Blut ab. Dann riss er die untere Hälfte seines blutdurchtränkten Hemdes ab und band sich den Stoffstreifen um den Oberkörper, um die Wunde zu schließen und die Blutung zu stillen. Schließlich wusch er sich die Hände und das Gesicht, zog den Regenmantel wieder an, kämmte sich die Haare und verließ das Café.
Er spürte, wie ihm das Blut in die Schuhe sickerte, und als er zu Boden sah, stellte er fest, dass einer seiner Absätze halbmondförmige Blutspuren auf dem Bürgersteig hinterließ. Aber es war kein frisches Blut, und außerdem spürte er, dass die Blutung nachgelassen hatte. Noch ein paar Schritte, dann traf er am Taxistand ein und glitt auf den Rücksitz eines Fiats.
»Sprechen Sie Englisch?«, fragte er und lächelte.
»Ja«, lautete die unwirsche Antwort.
»Gut! Zum Bahnhof bitte.«
Das Taxi fuhr los. Diogenes lehnte sich zurück; er fühlte das klebrige Blut in seinem Schritt, und sein Geist verlor sich in einem Tumult von Gedanken, einem Schauer zerbrochener Erinnerungen, einer Kakophonie von Stimmen:
Zwischen Gedanke
Und Wirklichkeit
Zwischen Regung
Und Tat
Fällt der Schatten
73
Im Kloster der »Schwestern di San Giovanni Battista in Gavinana« in Florenz herrschten zwölf Nonnen über eine Gemeindeschule, eine Kapelle sowie eine Villa mit einer Pension für religiös gesinnte Gäste. Als sich die Nacht über die Stadt legte, bemerkte die Nonne hinter dem Empfangstresen mit einem gewissen Unbehagen die Rückkehr der jungen Besucherin, die am Morgen eingetroffen war. Sie war frierend und durchnässt von ihrer Stadtbesichtigung zurückgekommen, ihr Gesicht in einen Wollschal gehüllt, der Körper gebeugt gegen das schlechte Wetter.
»Möchte die Signora zu Abend essen?«, fragte sie, aber die Frau brachte sie mit einer derart brüsken Handbewegung zum Schweigen, dass sie den Mund hielt und sich wieder hinsetzte.
In ihrem kleinen, einfach eingerichteten Zimmer schleuderte Constance Greene auf dem Weg zum Bad ihren Mantel wütend in die Ecke. Sie beugte sich über das Waschbecken und drehte den Warmwasserhahn auf. Während das Waschbecken voll lief, stellte sie sich vor den Spiegel und wickelte sich den Wollschal vom Gesicht. Darunter befand sich ein Seidenschal, steif von Blut, den sie vorsichtig abnahm.
Sie betrachtete die Wunde aus der Nähe. Viel war nicht zu erkennen; das Ohr und eine Gesichtshälfte waren mit verklumptem Blut überzogen. Sie tauchte einen Waschlappen in das warme Wasser, wrang ihn aus und legte ihn sich sachte auf die Haut. Nach einem Moment nahm
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