Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
geeignete Stelle gab – eine, die fast perfekt war. Sie würde den Felsvorsprung sehen, wenn sie näher kam, und vielleicht würde sie einen Anschlag von dort erahnen. Doch weit vor dem Felsvorsprung selbst gab es noch eine Stelle für einen Hinterhalt – im tiefen Schatten darunter, halb verdeckt von Felsen; diese Stelle war von weiter unten auf dem Weg völlig uneinsehbar.
Er fühlte sich unaussprechlich erleichtert, denn bald würde alles vorbei sein; vorsichtig nahm er seine Position im Schatten der Spitzkehre ein und stellte sich darauf ein, zu warten. Es war eine ideale Stelle: Die tiefdunkle Nacht und die Konturen des Geländes ließen es so aussehen, als wäre überhaupt keine Lücke zwischen den Felsen, hinter denen er sich versteckte. Inspätestens fünfzehn Minuten müsste sie auftauchen. Nachdem er sie getötet hatte, würde er ihre Leiche in die Feuerstraße werfen, in der sie für immer verschwinden würde. Und dann wäre er endlich wieder frei.
Die folgenden fünfzehn Minuten waren die längsten seines Lebens. Während die Zeit verstrich, bald waren zwanzig Minuten vergangen, wurde er zusehends unsicherer. Fünfundzwanzig Minuten verstrichen … dreißig …
Diogenes spukten die wildesten Vermutungen durch den Kopf. Sie konnte auf keinen Fall wissen, dass er hier war. Er war sich absolut sicher, dass er sich durch nichts verraten hatte.
Es konnte ja auch etwas anderes schiefgegangen sein.
War sie körperlich so geschwächt, dass sie den Berg nicht hinaufkam? Er hatte angenommen, dass ihr Hass sie weit über den Punkt der normalen Erschöpfung hinausführen würde. Aber sie war auch nur ein Mensch; es musste Grenzen ihrer Belastbarkeit geben. Sie verfolgte ihn seit Tagen, hatte kaum gegessen und geschlafen. Außerdem musste sie ziemlich viel Blut verloren haben. Und dann noch tausend Meter senkrecht einen unbekannten und zunehmend gefährlichen Saumpfad hinaufsteigen … vielleicht schaffte sie das einfach nicht. Vielleicht hatte sie sich auch verletzt. Der verwitterte kopfsteingepflasterte Weg war übersät mit losen Steinen und erodierten Felsblöcken, und die steileren Passagen – da, wo im Altertum Steintreppen errichtet worden waren – waren wegen des Gerölls rutschig, und es fehlten viele Stufen; eine echte Todesfalle.
Eine
Todesfalle.
Es konnte durchaus sein, es war sogar sehr wahrscheinlich, dass sie ausgerutscht war und sich verletzt hatte; dass sie gestürzt war und sich den Knöchel verstaucht hatte, vielleicht sogar ums Leben gekommen war. Hatte sie eine Taschenlampe dabei? Wohl kaum.
Er sah auf die Uhr: Jetzt waren fünfunddreißig Minuten vergangen.Was sollte er tun? Von allen Möglichkeiten war die wahrscheinlichste, dass sich Constance verletzt hatte. Er würde den Weg wieder hinuntergehen und nachschauen müssen. Wenn sie mit gebrochenem Knöchel dort lag oder vor Erschöpfung zusammengebrochen war, wäre es ein Leichtes, sie zu töten …
Er hielt inne. Nein, das würde nicht genügen. Vielleicht war genau das
ihr
Schlachtplan: ihn im Glauben zu wiegen, dass sie sich verletzt hatte, um ihn wieder nach unten zu locken – und ihn dann aus dem Hinterhalt anzugreifen.
Ein bitteres Lächeln huschte über sein Gesicht. Ja, so könnte es sein. Sie lauerte ihm auf, wartete darauf, dass er hinabstieg. Aber in diese Falle würde er auf keinen Fall tappen. Er würde
ihr
auflauern. Schließlich würde ihr Hass sie den Berg hinauftreiben.
Zehn weitere Minuten verstrichen, und abermals überkamen ihn Zweifel. Wenn er nun die ganze Nacht auf sie warten musste? Wenn sie sich einfach weigerte, den Kampf am Vulkan selbst auszufechten? Wenn sie in die Stadt zurückgegangen war und sich dort versteckt hielt, etwas Neues plante? Wenn sie die Polizei alarmiert hatte?
Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass diese Sache möglicherweise immer noch nicht überstanden war. Er konnte so nicht weitermachen. Das alles musste aufhören,
heute Nacht.
Wenn sie nicht zu ihm kam, dann musste er eben eine Entscheidung erzwingen und zu
ihr
gehen.
Aber wie?
Er legte sich auf den Boden und spähte hinab ins Dunkel; seine Erregung stieg. Er versuchte, so zu denken wie sie, vorherzusehen, was sie tun würde. Er konnte es sich nicht leisten, sie noch einmal zu unterschätzen.
Ich fliehe aus dem Haus, laufe den Hügel hinauf. Sie steht da und fragt sich, ob sie mir folgen soll. Was würde sie tun?
Sie wusste,dass er den Berg hochsteigen würde; sie wusste, dass er auf sie warten würde, dass er vorhatte,
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