Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
auf und begab sich in die Küche. Dort öffnete er den Seesack, zog etwas Großes daraus hervor, kehrte ins Wohnzimmer zurück und legte den Gegenstand zwischen ihnen auf den Boden.
Constance warf einen neugierigen Blick darauf. Es war ein rechteckiges Hartschalenbehältnis aus weißem Gummi und Kunststoff, ungefähr neunzig mal einhundertzwanzig Zentimeter groß, verschnürt mit Nylonstraps. Auf der Oberseite prangten verschiedene Warnetiketten. Pendergast entfernte die Nylonstraps und nahm den Deckel ab. In dem Container lag ein zusammengefalteter Gegenstand aus phosphoreszierendem gelbem Polyurethan.
»Eine sich selbst aufblasende Rettungsinsel«, sagte Pendergast. »Im Volksmund ›Überlebensblase‹ genannt. Ausgestattet mit SOLAS B-Paketen, einer Seenotfunkboje, Decken und Vorräten. Jedes der freifallenden Rettungsboote der
Britannia
ist mit so einem ausgerüstet. Ich, ähm, habe diesen hier aus einem davon
organisiert
.«
Constance blickte auf das Behältnis, dann zu Pendergast, dann wieder auf das Behältnis.
»Wenn die Offiziere dem Kapitän nicht Einhalt gebieten können, dann versuchen sie womöglich, die Rettungsboote zu Wasser zu lassen«, erklärte er. »Das ist bei dieser Geschwindigkeit gefährlich, vielleicht töricht. Andererseits werden wir minimalen Risiken begegnen, wenn wir uns in
dem hier
vom Achterschiff selbst zu Wasser lassen. Natürlich müssen wir aufpassen, wo wir unsere Evakuierung durchführen.«
»Evakuierung?«, wiederholte Constance.
»Die wir, natürlich, von einem Deck unmittelbar oberhalb der Wasserlinie vornehmen müssen.« Er griff zum Beistelltisch, nahm die Schiffsbroschüre zur Hand und zog ein Hochglanzfoto der
Britannia
heraus. »Ich schlage diese Stelle vor«, er zeigte auf eine Reihe von Panoramafenstern weit unten im Achterschiff. »Das müsste der
King-George- II
-Ballsaal sein. Er dürfte wegen der aktuellen Notfallsituation leer sein. Wir könnten mit einem Stuhl oder Tisch das Fenster einwerfen, ein Loch hineinschlagen und springen. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, werden wir den Apparat in diesem Seesack dort hinunterbefördern.« Er überlegte kurz. »Es wäre klug, ungefähr eine halbe Stunde zu warten; dadurch kämen wir nahe genug an den Ort der Kollision heran, um in einer vernünftigen Entfernung von den Rettungsschiffen zu sein, aber nicht so nahe, dass wir durch die Last-Minute-Panik behindert würden. Wenn wir uns aus einem der Seitenfenster des Ballsaals zu Wasser lassen, hier oder da, vermeiden wir teilweise das Kielwasser.« Selbstgefällig aufseufzend legte er das Foto beiseite, als sei er mit seinem Plan ausgesprochen zufrieden.
»Du sagst ›wir‹«, sagte Constance langsam. »Das heißt, wir beide.«
Pendergast blickte sie milde erstaunt an. »Ja, natürlich. Aber sei unbesorgt. Gewiss, die Rettungsinsel mag in diesem Behältnis klein wirken, aber vollständig aufgepumpt ist sie sicher groß genug für uns beide. Sie ist für vier Personen ausgelegt, wir sollten also genug Platz haben.«
Sie sah ihn ungläubig an. »Du schlägst vor, dich selbst zu retten und die anderen sterben zu lassen?«
Pendergast runzelte die Stirn. »Constance, bitte nicht in diesem Ton.«
Sie stand auf, empfand eine kalte Wut. »
Du
…« Sie erstickte das Wort im Keim. »Diese Rettungsinsel aus einem der Rettungsboote zu stehlen … Du hast dich da draußen gar nicht auf die Suche nach einer Möglichkeit gemacht, wie sich die Krise entschärfen oder die
Britannia
retten lässt. Du hast nur geregelt, wie wir beide mit heiler Haut davonkommen können.«
»Zufälligerweise bin ich meiner heilen Haut eng verbunden. Und ich sollte dich nicht daran erinnern müssen, Constance, dass ich dir anbiete, auch
deine
zu retten.«
»Das sieht dir gar nicht ähnlich.« Unglauben, Schock und Wut vermischten sich in ihr. »Dieser krasse Egoismus. Was ist mit dir
geschehen
, Aloysius? Seit du aus Blackburns Kabine zurückgekehrt bist, verhältst du dich … bizarr. Nicht wie du selbst.«
Er erwiderte ihren Blick. Schweigend brachte er den Deckel wieder auf dem Hartschalencontainer an. Dann stand er auf und trat auf sie zu.
»Setz dich, Constance.« Und plötzlich war da etwas in seinem Ton – etwas Sonderbares, völlig Fremdartiges –, das sie trotz ihrer Wut, ihres Schocks und ihres Unglaubens sofort gehorchen ließ.
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LeSeur nahm in dem Besprechungszimmer Platz, das neben der Hilfsbrücke lag. Er war noch immer nass bis auf die Haut, hatte aber das
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