Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
Stellvertretenden Kapitän. Mason sprach nie über ihr Alter, aber er nahm an, dass sie vierzig war, vielleicht einundvierzig – bei Leuten, die ihr Leben auf See verbrachten, war das manchmal schwer zu sagen. Sie war groß und stattlich, sehr attraktiv auf eine kompetente, nüchterne Art. Ihr Gesicht war leicht gerötet, was vielleicht auf den Stress ihrer ersten Fahrt als Kapitän zurückzuführen war. Ihr braunes Haar war kurz, und sie trug es stets unter die Kapitänsmütze geschoben. Er beobachtete sie, wie sie sich über die Brücke bewegte, gelegentlich auf einen der Monitore schaute oder leise ein Wort mit einem Mitglied der Brückenbesatzung wechselte. In vielerlei Hinsicht war sie der perfekte Offizier: ruhig und freundlich, weder diktatorisch noch kleinlich, fordernd, ohne herrschsüchtig zu sein. Sie erwartete viel von den Leuten unter ihrem Kommando, aber sie selbst arbeitete härter als jeder andere. Und sie strahlte eine Art Magnetismus aus, eine Aura von Verlässlichkeit und Professionalität, die man nur bei den besten Offizieren fand. Die Besatzung war ihr treu ergeben, und das mit Recht.
Ihre Anwesenheit auf der Brücke war nicht erforderlich, ebenso wenig wie seine. Aber alle wollten in der ersten Nacht der Jungfernfahrt der
Britannia
auf der Brücke sein und zusehen, wie Mason das Schiff kommandierte. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte sie den Chefposten auf der
Britannia
bekommen müssen. Was mit ihr passiert war, war eine Schande, eine echte Schande.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und Commodore Cutter trat ein. Augenblicklich änderte sich die Atmosphäre im Raum. Muskeln spannten sich an, Gesichter wurden starr. Der Wachoffizier setzte eine beflissene Miene auf. Nur Mason schien unbeeindruckt. Sie kehrte zum Navigationspult zurück, schaute aus dem Brückenfenster und sprach leise mit dem Steuermann.
Cutters Rolle war – zumindest theoretisch – größtenteils zeremoniell. Er war das öffentliche Gesicht des Schiffes, der Mann, zu dem die Passagiere aufschauten. Sicher, er hatte das Kommando, aber auf den meisten Luxuslinern sah man den Kapitän selten auf der Brücke. Die tatsächliche Führung des Schiffes wurde dem Stellvertretenden Kapitän überlassen.
Man konnte den Eindruck gewinnen, dass das auf dieser Fahrt anders sein würde.
Commodore Cutter trat einen Schritt vor, marschierte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, über die Brücke und studierte die Monitore. Er war ein kleiner, kräftig gebauter Mann mit eisengrauem Haar und fleischigem Gesicht, tiefrosa sogar im gedämpften Licht der Brückenbeleuchtung. Seine Uniform war stets makellos.
»Der Tanker ändert den Kurs nicht«, sagte der Wachoffizier zu Mason. » CPA neun Minuten. Er ist auf konstantem Kurs und kommt näher.«
Eine leichte Anspannung begann sich aufzubauen.
Mason kam herüber und studierte das ECDIS . »Funker, rufen Sie ihn auf Kanal sechzehn.«
»Schiff an meiner Steuerbordseite«, sagte der Funker, »Schiff an meiner Steuerbordseite, hier ist die
Britannia
. Verstehen Sie mich?« Keine Reaktion, nur Geknister.
»Schiff an meiner Steuerbordseite, können Sie mich empfangen?«
Eine Minute verging. Cutter stand wie festgewachsen auf der Brücke, Hände auf dem Rücken verschränkt, und beobachtete schweigend die Vorgänge.
»Er ändert den Kurs noch immer nicht«, sagte der Wachoffizier zu Mason. » CPA acht Minuten, und er ist auf Kollisionskurs.«
LeSeur war sich bewusst, dass die Lage allmählich ungemütlich wurde: Die beiden Schiffe näherten sich einander mit einer vereinten Geschwindigkeit von vierundvierzig Knoten. Wenn der Mammuttanker nicht bald seinen Kurs änderte, würde es haarig werden.
Mason beugte sich über das ECDIS und studierte die Anzeige. Alle waren alarmiert, ein plötzliches Gefühl von Beunruhigung breitete sich auf der Brücke aus. Das erinnerte LeSeur an einen Ausspruch einer seiner Offiziere in der
Royal Navy:
Seefahrt ist zu neunzig Prozent Langeweile und zehn Prozent Schrecken
. Ein Mittelding gab es nicht. Er warf einen Blick auf Cutter, dessen Gesicht ausdruckslos war, und dann auf Mason, die ganz gelassen blieb.
»Was machen die denn da?«, fragte der Wachoffizier.
»Nichts«, versetzte Mason trocken. »Und das ist das Problem.« Sie trat einen Schritt vor. »Mr Vigo, ich übernehme die Schiffsführung für das Ausweichmanöver.«
Vigo trat zur Seite, Erleichterung im Gesicht.
Sie drehte sich zum Steuermann um. »Ruder
Weitere Kostenlose Bücher